AUFSÄTZE
Aleida Assmann: Die Rückkehr des Juden von Konstanz auf die Bühne
Nasson ist Arzt. Er wird eingeführt im Drama von Wilhelm von
Scholz als eine Person, die Christen geheilt hat, die ihm dafür
dankbar sind. Dafür muss er sich vor seinen jüdischen Freunden
rechtfertigen: leiden sie denn nicht auch wie wir, die Christen?
fragt er in Worten, die an Shakespeares Shylock erinnern.
Allerdings ist hier die Blickrichtung umgekehrt. In diesem Stück
fordert nicht ein Jude Mitleid von Christen gegenüber dem Juden,
sondern von Juden für die Christen! An derartige Umkodierungen
muss man sich in dem Stück gewöhnen. Nichts ist hier mehr wie
bei Shakespeare oder bei Lessing, und doch ist der Text reich an
Ober- und Untertönen der Tradition.
Das betrifft bereits die äußere Erscheinung dieses ‚Juden von
Konstanz’. Shylock und Nathan sind alte Männer, Vaterfiguren und
ehrwürdige Gestalten; dieser Jude ist dagegen jung und
lebenshungrig. Wie sein dreißigjähriger Autor steht Nasson am
Anfang seiner Karriere und hat den Kopf voller Hoffnungen,
Erwartungen und Pläne. Er ist obendrein ein jugendlicher
Liebhaber. Seine Geliebte ist Bellet, die den Typus der schönen
Jüdin verkörpert, die hier nicht wie Shylocks Jessica oder
Marlowes Abigail eine leichte Beute der Christen wird, sondern
die mit Nasson zusammen ein romantisches Paar abgibt.
Das Mitleid, das der getaufte Jude am Anfang des Stückes zeigt,
hat er sich nicht zusammen mit dem Christentum angeeignet, es
gehört vielmehr zu seinem ureigenen Menschentum. Er weigert sich
nämlich standhaft, entlang der Glaubenszugehörigkeiten
Unterschiede zu machen: er will helfen ohne Ansehen der Person.
Der durch und durch positiv gezeichnete Nasson könnte eine
Lichtgestalt sein und Vorbildcharakter haben, doch kann er sich
gegen die Umstände, in denen er agiert, nicht durchsetzen. Er
verkörpert eindrucksvoll die Lehre von Lessings Nathan und
dessen reinen Humanismus, doch von Scholz versetzt diesen
aufgeklärten Menschen in seiner modernen Tragödie in eine
finstere Wirklichkeit, in der sich alle gegen ihn verbünden. Mit
seinem Mitleid öffnet er sich gegenüber den Christen und macht
sich auch frei vom Hass der Juden, aber genau diesen Hass zieht
er dabei auf sich. Nasson will seine Existenz auf den neuen
Besitz eines eigenen Hauses gründen, aber diesen rechtmäßig
erworbenen Besitz macht man ihm streitig: ein anderer Bürger
macht Anspruch auf sein Haus – dabei wird deutlich, dass es
unterschiedliche Formen von Besitz gibt: Nasson hat keinen
Anteil an dem Gedächtnis des Ortes, an der lebendigen Tradition,
er hat kein Erbe und kein an den Ort gebundenes Gedächtnis,
keine lokale Familiengeschichte.
Im Gespräch mit Asarjah spricht Nasson wie der aufgeklärte
Nathan: Juden und Christen sind gleich. Während Nasson die
Vergangenheit vergessen will und seine Hoffnung auf die Zukunft
gründet, insistiert sein Antipode auf der Vergangenheit und
rollt die Gewaltgeschichte immer wieder auf. Er verkörpert ein
lebendiges Opfer- und Hass-Gedächtnis, das er leidenschaftlich
in Gang hält. Seine Devise heißt: „Feindschaft ewig zwischen uns
und ihnen!“ (24) Damit verkörpert er zugleich den Stereotyp des
Juden, der auf die Vergangenheit fixiert und unfähig ist zur
Erneuerung, zum Umdenken, zur Versöhnung. Aus eben dieser
Geschichte will Nasson ausbrechen:
Ewig rollt,
gleichwie ein Teppich hinter unserm Schritt,
der Weg sich auf, der eben erst
sich vor uns ausgebreitet. (25)
Das zentrale Thema des Stücks wird in diesem Kontext eingeführt:
Heimat. Das Stück benutzt den Begriff als einen leeren
Signifikanten, wir können auch sagen: als eine Worthülse, der
immer wieder neu und anders aufgefüllt wird. In dieser
Vielsprachigkeit, Vieldeutigkeit und Kollision der Perspektiven
liegt der künstlerische Wert des Stückes, den die Inszenierung
eindrucksvoll herausarbeitet. Drei Heimat-Begriffe stoßen hier
aufeinander:
1. Heimat aus der Perspektive von Nasson bedeutet in die moderne
Sprache übersetzt: Bürgerrecht. Er hat sich ein Haus gekauft,
das ihm eine bürgerliche Existenz ermöglicht und ihn unter den
Schutz der Stadt stellt.
Heimat bedeutet mir ein Weib, ein Haus,
ein Kreis, in dem ich wirken kann, und schließlich
die Stadt, die mich mit Ordnung rings umgibt. (28)
Mehr Zugehörigkeit als diese rechtliche Grundlage will und
braucht er nicht, um sich aktiv in der Gesellschaft zu
engagieren, um wirken zu können. 2. Heimat aus der Perspektive
Asarjahs bedeutet: Zugehörigkeit zum Volk Israel im Bund mit dem
zornigen Gott Jehova, Zugehörigkeit zu einer religiösen
Gemeinschaft, die ihr Zentrum in der Tora (Bibel) als
„portativem Vaterland“ (Heine) hat und sich deshalb nicht im
Boden verankert, sondern in der Diaspora lebt und weiterwandert.
3. Heimat aus der Perspektive Hägelis bedeutet Blut und Boden.
Es ist der Flecken Erde, wo seine Familie lebte, wohin er
heimkehrt, und wo er zuhause ist, verbunden mit seinen
Vorfahren. Die Dynamik des Stücks besteht darin, diese drei
Positionen und Grunddefinitionen von Heimat durchzudeklinieren,
weiterzuentwickeln und schließlich als unvereinbar auszuweisen.
Das Stück beginnt mit der Tatsache der Konversion von Nasson.
Während Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ mit der
Zwangskonversion des Juden Shylock endet, beginnt von Scholz mit
der Konversion. Das Stück spielt zwar im 14. Jahrhundert, ist
aber ganz offensichtlich als Parabel für die Gegenwart gemeint
und schildert die Situation der emanzipierten Juden des 19.
Jahrhunderts. Konversion bedeutet deshalb nicht Übertritt zur
christlichen Religion, sondern Austritt aus der Religion
überhaupt. Konversion bedeutet für Nasson Emanzipation von der
Vergangenheit und traditionalen Lebensformen, sie bedeutet
Säkularisierung und Modernisierung. Deshalb sagt sich Nasson
gleichermaßen von jüdischen wie christlichen Banden los;
Zugehörigkeit zur Gemeinschaft soll fortan nicht über den
Glauben sondern ausschließlich über soziale Beziehungen und den
Beruf erreicht werden. Nasson zeichnet das Bild dieses neuen,
modernen, säkularisierten Juden, seine Hoffnungen, Illusionen,
Konflikte, Kämpfe und – seinen Untergang. Er ist der
integrationswillige Pazifist, bereit seine Vergangenheit
aufzugeben, um dafür eine neue Zukunft zu gewinnen.
Der erste und wichtigste Gegenspieler zu diesem Lebensentwurf
ist Asarjah, der den ‚alten Juden’ verkörpert und seinen Fluch
gegen den neuen Juden schleudert. Dieser Fluch bezieht sich auf
einen ersten Mythos, den Mythos des Ahasver. Ahasver, auch der
‚ewige Jude’ genannt, ist eine christliche Erfindung, die als
mündliche Legende im ausgehenden Mittelalter entstand und eine
unglaubliche populäre Wirkung hatte . Die älteste schriftliche
Fassung stammt aus dem Jahr 1602. Es ist die Geschichte eines
jüdischen Schuhmachers an der Via Dolorosa von Jerusalem. Als
Jesus mit seinem Kreuz an seinem Geschäft vorbeikam, gewährte
dieser Schuhmacher ihm keinen Moment des Ausruhens. Diesem
Frevel der Mitleidlosigkeit folgte die Strafe auf dem Fuße:
Jesus sprach einen Fluch aus, der nicht nur ihn selbst
lebenslänglich zur Ruhelosigkeit verdammte, sondern obendrein
allen Juden ein Schicksal der Heimatlosigkeit, Friedlosigkeit,
Endlosigkeit prophezeite.
Dieser Mythos des ruhelosen Juden ist zu einem zentralen
literarischen Motiv geworden, das bei der Abgrenzungsymbolik
zwischen Juden / Christen und Juden / Deutschen eine zentrale
Rolle gespielt hat. Die Legende stammt aus der christlich
anti-judaistischen Tradition: sie gehört ins Arsenal der
Belastungsgeschichten, die die Juden für den Tod Christi
verantwortlich machen (von Judas dem Verräter unter den Jüngern
bis zu den Geschichten des Ritualmords und der
Hostienschändung). Auf diesen Geschichten wurde ein Feindbild
konstruiert und ein Bedrohungsbewusstsein aufgebaut, das den
Hass der Christen im ausgehenden Mittelalter immer wieder neu
entfacht hat. Der Ahasver-Mythos ist etwas komplizierter, weil
er z. T. auch positiv interpretiert wurde und besonders in der
Romantik zu einer Faszinationsfigur aufstieg. Von Scholz macht
aus der Fremdcharakterisierung des Juden in der Ahasverfigur
eine jüdische Selbstcharakterisierung: die Hetero-Stereotype
wird so zur Auto-Stereotype. Asarjah definiert sich und seine
Gruppe in der Sprache dieser Fremdstereotype des christlichen
Mythos:
ruhelos
sind wir seit ewigen Zeiten. Du auch wirst
das Wandern wieder lernen. (25)
Der Fluch, den Jesus in der Legende auf Ahasver schleudert, wird
im Stück von Asarjah auf Nasson geschleudert:
Du mögest heimatlos und friedlos sein
für alle Zeit! Fluch sei auf deinem Wege,
dass er dir endlos werde! (29)
Während Nasson auf Frieden, Verständigung und gleiche
Grundbedürfnisse setzt, ist das Drama als Eskalationsstück
angelegt. Im Stile der antiken Tragödie zeigt es einen
unabwendbaren Ablauf von friedlicher Koexistenz hin zur
Entladung von Gewalt in der Katastrophe. Jede Szene, jeder Akt
ist eine weitere Stufe auf diesem vorgezeichneten Weg, auf dem
es trotz kurzer Entspannung kein Entkommen gibt. Die
Zeitstruktur des Dramas ist die des minimalen Aufschubs, des
Noch nicht, aber bald. Es ist eine düstere Gegenwart, über der
das Damoklesschwert hängt. Der Inhalt des Problem-Stückes ist
deshalb die Frage nach den Mechanismen der Gewalt und der Logik
der Eskalation, sinnfällig dargestellt in drei immer radikaler
werdenden Gewaltattacken des aufgebrachten Mobs auf der Bühne.
Es ist aber auch die Frage nach den unlösbaren Grund-Konflikten
einer langen gemeinsamen Gewaltgeschichte zwischen Christen und
Juden und Rolle der Propaganda und Manipulation. Es ist ein sehr
düsteres Stück; Auswege aus dem Dilemma werden in dieser
Tragödie nicht angeboten. Leitmotiv für den bedrohlich
ansteigenden Hass und die Gewalt ist das Feuer. Zuerst wird
oberflächlich gezündelt – Asarjah will Nassons Haus anzünden; im
Possenspiel schlagen die Flammen hoch und später heißt es:
ins Feuer mit den Juden! (53).
Der zweite Akt bringt das Theater selbst auf die Bühne in
Gestalt des Possenspiels. Das Possenspiel führt einen zweiten
Mythos in das Stück ein: den Sündenbockmythos. Dieser Mythos hat
eine längere Vorgeschichte, die bis in die griechische Antike
zurückgeht. In der kürzesten Version dieses Mythos geht es
darum, für Katastrophen und Krisen, die oft diffus und
undurchschaubar sind, einen konkreten Träger zu finden, der der
Gesellschaft diese Schuld abnimmt. Ursprünglich war es, wie der
Name sagt, ein Bock, auf den die Schuld symbolisch geladen wurde
und der aus der Gruppe heraus in die Wüste getrieben wurde, wo
er mit der Schuldenlast verendete. Der Kreuzestod Christi steht
ebenfalls in dieser Tradition. Das Bedürfnis, einen konkreten
Schuldigen zu benennen, auf den alles Übel geladen werden kann,
das damit wunderbarer Weise aus der Welt verschwindet, hat nicht
nachgelassen, auch wenn sich die Praktiken dieses Rituals
geändert haben. Der in die Konstanzer Aufführung importierte
Satz: ‚Die Juden sind an allem schuld!’ ist die kompakteste
Formel dieses jahrtausendealten Rituals, das in sich ausgrenzend
und gewaltstimulierend ist. Von Scholz hat die Possenbühne
eingeführt, nicht um Hasspropaganda zu präsentieren, sondern um
die Mechanismen von Hasspropaganda zu durchleuchten als ein
Verdummungsinstrument für die Mächtigen zur Manipulation der
Massen.
Das Possenspiel kehrt zurück zur mittelalterlichen, historischen
Ebene der Handlung und zeigt einen dritten Mythos: das
christlich-mittelalterliche Feindbild der Juden. Sie wurden
denunziert als Christusmörder und Hostienschänder und
dämonisiert als Verkörperung des Teufels. Der Teufel ist
derjenige, der sich verstellen kann, der keine authentische
Gestalt hat (das eindrückliche Symbol dafür ist die gelbe
Pappnase in der Konstanzer Inszenierung) und die Menschen als
Heuchler und Betrüger täuscht. Das Stück im Stück kontrastiert
Helden gegen Teufel und endet mit einem Aufwallen des
Publikums-Zorns und seiner Entladung in kollektiver Gewalt.
Mit dieser Teufelsfigur ist ein vierter Mythos aufs Engste
verbunden: der des Juden als Scheinchrist. Hier ist wieder eine
historische Information angebracht. Nach der Vertreibung der
Juden aus Spanien (1492-98) gab es dort nur noch konvertierte
und zwangsgetaufte Juden. Das hat die Situation der Ausgrenzung
und Abgrenzung aber keineswegs verbessert, denn nun verschärfte
sich das Misstrauen und richtete sich auf die zwangs-getauften
Juden bzw. neuen Christen, die unter Generalverdacht standen.
Man bemühte sich darum, Anzeichen der Verstellung zu entdecken,
um die Kryptojuden der Heuchelei zu überführen, es gab den
Straftatbestand des „rückfälligen Judaisierens“. Die alten
Christen hegten Misstrauen gegen die neuen Christen und wollten
sich von ihnen absetzen durch neue Blutreinheitsregelungen und
Ausschluss von Ämtern – alles Dinge, die sich nach der
Emanzipation und sozialen Integration der Juden im 19.
Jahrhundert wiederholten. Die Inquisition produzierte auf diese
Weise die Figur des Scheinchristen, den sie dann verfolgte, ins
Verhör nahm und mit dem Tod durch Verbrennen bestrafte. (Sina
Rauschenbach, Historikerin an der Universität Konstanz, arbeitet
derzeit über eine solche Verfolgungs-geschichte: ‚Carvajal, Ein
jüdischer Märtyrer in den Händen der mexikanischen
Inquisition’).
In scharfem Gegensatz zu dieser populistischen Verdummung und
dem Schüren von Gewalt auf Seiten der Juden (Samlai, als
Gegenfigur des Rabbi) wie der Christen stehen die Hauptfiguren
des Stücks Nasson und Bellet. Sie sind aufgeklärte Figuren, die
die Ammenmärchen der Religion hinter sich gelassen haben.
Obendrein sind beide Pazifisten, die sich jeglicher Form von
Gewalt entgegenstellen. Die Konstanzer Aufführung korrigiert
dabei das Gendergefälle des Stücks, in dem Bellet Nasson geistig
klar unterlegen ist. Ihr genuiner Pazifismus wird in dem Segen
des Schwerts (in der Aufführung ist es ein Messer) deutlich. Von
Scholz – und findet in der Exodus-Erzählung ein bemerkenswertes
Zitat, wo der Gott Israels seinen Feinden gegenüber friedfertig
dargestellt wird: er hat Erbarmen und Mitleid mit den im Roten
Meer untergegangenen Ägyptern, die ja auch seine Geschöpfe sind!
Die Logik der Eskalation, die das Stück beherrscht, ist von
Anfang an unübersehbar: Nassons Haus wird ihm im ersten Akt
abgesprochen, im 2. Akt beschädigt, Bellet wird im ersten Akt
angepöbelt und im zweiten (fast) vergewaltigt. Gewalt
mobilisiert Gegengewalt und die Katastrophe ist nicht mehr
aufzuhalten. Dennoch verkündet Nasson kontrafaktisch am Ende des
2. Akts:
Ich werde
meinen Glauben nicht verlieren an die Zukunft
und an das Licht, das ringsum wachsen muss! (61)
Im dritten Akt beginnt das Thema ‚Scheinchrist’, das mit dem
Possenspiel eingeführt wurde. Woran erkennt man um 1900 einen
Scheinchristen? Die Antwort lautet: Daran, dass er kein
authentisches Verhältnis zur Heimat haben kann! Wenn es um das
Thema Heimat geht, spricht der Jude wie der Blinde von der
Farbe.
Entbehret nur habt Ihr Heimat, wie der Blinde
das Licht, das er sich nicht erträumen kann.
Ihr kennt die Heimat nicht, fühltet sie nie. (Crispin, 63)
An diesem Punkt hat sich die Zukunft für Nasson verdüstert.
Heimat ist für ihn nun nur noch
das Sterbenkönnen,
das Untersinken in verwandte Erde. (64)
Im dritten Akt geht es um die zweite Konversion, die von Bellet,
die vor der Zentralfrage der Endgültigkeit bzw. der Möglichkeit
des Rückgängigmachens der Entscheidung steht. Dass es hier kein
Zurück gibt, wird als ein existentielles Problem menschlicher
Zeitorientierung diskutiert. Der Weg ins Christentum ist wie der
in die Moderne ein Weg ausschließlich nach vorn und ein point of
no return. In der christlichen Heilsgeschichte führt vom neuen
Testament kein Weg zurück zum alten, und in der
Modernisierungsgeschichte führt kein Weg zurück in Tradition und
Religion. Dieses Thema ‚Es gibt kein Zurück’ in der Geschichte
möchte ich als einen fünften Mythos, den Mythos der Moderne
bezeichnen, mit dem uns dieses Drama konfrontiert. Von Scholz
präsentiert dieses Thema in einer interessanten
gender-spezifischen Variante, die für seine Zeit typisch ist,
indem er die Konversion von Nasson und die von Bellet
unterscheidet. Er konvertiert, weil er einen beruflichen Ehrgeiz
hat, sie ist bereit zu dem Schritt, weil sie mit Nasson eine
romantische Liebe verbindet und ihre Zukunft allein auf Nasson
bauen möchte. Er kann ihr Glück und auch Schutz für die
Gegenwart bieten, aber kann er auch die große Verantwortung für
den anderen Menschen tragen? Ist sie überhaupt in der Lage, ihm
zuliebe ihre Identität dauerhaft zu ändern? Hier sieht von
Scholz ein Problem: Männer können problemlos aus der
Vergangenheit in die Zukunft gehen, ohne sich umzusehen, Frauen
dagegen bleiben an die Vergangenheit gebunden. Das Weib, so
urteilte man um 1900, hängt an der Vergangenheit, sie ist nur
bedingt zukunftsfähig.
Des Weibes Seele hält sich fest
an dem, was sie erlebte und besaß. (76)
In anderen Worten: In der Frau ist der Wille schwächer
ausgebildet als Heimweh und ein
Heimbegehren
nach unserem Anbeginn, nach unserer Kindheit,
nach dem, was wir nicht selbst geworden sind,
nein, was wir waren, seit wir denken können. (76)
Während im 19. Jahrhundert überall der Historismus blühte und
man sich nostalgisch mit der Vergangenheit beschäftigte, steht
für die konvertierte Jüdin auf der Rückwendung zu ihrer
Vergangenheit die Todesstrafe.
Nasson hat dieses Problem nicht, er will nicht zurück. Er will
zurück nur zum Schein aus dem einen Grund, um Menschenleben zu
retten. Der vierte Akt bringt die Verkleidungsszene, den Rückweg
ins Judentum und Judenviertel, die auf der Bühne wunderbar
ausagiert wird. In dieser Szene wird Nasson zum Scheinjuden, der
später als Scheinchrist angeklagt wird. Der Eid, den er als
Erkennungszeichen spricht, ist eine Variation des 137. Psalms,
der in der Knechtschaft Babylon entstanden ist und der eine
Selbstverfluchung ausspricht für den Fall, dass der Sprecher
seine jüdische Identität vergisst:
Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, verdorre meine Rechte!
Es klebe meine Zunge an meinem Gaumen,
wenn ich deiner nicht gedenke,
wenn ich Jerusalem nicht setze über meine höchste Freude!
und bei Heine heißt es im „Romanzero“:
Lechzend klebe mir die Zunge
An dem Gaumen, und es welke
Meine rechte Hand, vergäß ich
Jemals dein, Jerusalem -
Bei von Scholz wird der Psalm als Wahrheitsbeteuerung eines
Augenzeugen eingesetzt, aber es ist wichtig zu sehen, dass er
damit zugleich seine eigene Identität untergräbt, denn die
Beschreibung passt ja auch auf ihn, der Jerusalem vergessen hat!
Nachdem Asarjah einen Fluch gegen Nasson ausgesprochen hat,
verflucht er sich jetzt auf diese Weise selber.
Die Steigerungsstufen der Gewalt sind überdeutlich: erst sind
des nur Stimmen, dann wird das Haus angegriffen, dann stirbt
Bellet im Gefecht durch eine jüdische Waffe. Nasson, der ihr
Schutz versprochen hatte, kann der Toten nur noch einen Schutz
geben: den Schutz vor dem christlichen Segen. Er hat damit alles
verloren – und nur noch sich. Aber auch dieses Selbst wird ihm
genommen in der letzten Konfrontation mit seinem Racheengel
Asarjah:
Ganz einsam hab ich dich gewollt, so einsam!
Nun brich zusammen! richte dich nie mehr auf! (93)
Wie in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ wird auch hier der
Jude all seiner Attribute und Lebensmöglichkeiten beraubt:
Tochter, Geld, Religion und Gemeinschaft – allerdings geschieht
diese Reduktion auf sein bares Leben hier durch die Juden und
nicht durch die Christen. Das letzte Urteil
Der aber ist nur Scheinchrist! Der ist Jude! (94)
wird von Nasson bestätigt, der mit diesem Bekenntnis am Ende des
4. Akts aus der Rolle des Opfers je nach Perspektive und Lesart
in die des Scheinchristen oder des jüdischen Märtyrers
überwechselt. Der letzte Akt setzt das Thema des 4. Akts fort,
mit einer neuen Wendung allerdings, denn jetzt ist es der
Bischof, der Nasson wiederholt zuruft: Du kannst zurück! Er kann
zurück, wenn er sein Bekenntnis widerruft. Doch jetzt ist es
Nasson, der nicht zurück will:
Dort in die Flammen geht mein Weg. Nicht anders! (100)
Seine Einsamkeit ist grenzenlos, denn er will weder als Christ
noch als Jude sterben.
Jede Gemeinschaft, Bischof, ist gelöst,
die mit den Christen, wie die mit den Juden.
Denn ich bin niemands und kann niemands sein. (101)
Es ekelt ihn vor jeder Form von Gemeinschaft und deshalb sucht
er die Einsamkeit im Tod, nachdem er seinen Lebenswillen
überwunden hat. Er will unbedingt allein sterben, deshalb rettet
er die Juden und gibt den Christen dabei eine merkwürdige
Botschaft mit auf den Weg:
Geht! Lebt mit diesem Volk in ewiger Fremde! (104)
und er setzt noch eins drauf:
Hasst euch! verachtet euch! Ihr seid es wert! (104)
Das ist die genaue Umkehrung der Liebesbotschaft und der
Toleranz der Aufklärung, die er zuvor vertreten hatte. So, wie
er im Leben gegenseitige Achtung und Empathie gepredigt hat,
predigt er nun Hass und Verachtung – genau wie Asarjah am Anfang
des Stückes: „Feindschaft ewig zwischen uns und ihnen!“ (24) Was
soll das heißen – war alles umsonst?
Nein, denn dieser Hass richtet sich aus Nassons Perspektive
nicht gegen die Menschen selbst, sondern allein gegen ihren
Gruppenzwang, dem sie sich mit ihrem starken Bedürfnis nach
Zugehörigkeit unterwerfen. Den in ewigem Gruppenhass verbundenen
Juden und Christen ruft Nasson diesen Fluch als ein Mensch zu,
der resigniert und sich von allen Bindungen losgemacht hat. Das
Menschsein, das sich für Nasson weder mit Christ Sein noch Jude
Sein noch Deutscher Sein gleichsetzen lässt, beginnt für ihn mit
der Liebe zur Welt und endet mit der Einsamkeit des Todes, dem
alle Menschen in gleicher Weise als einzelne begegnen müssen.
Macht der Tod aber die Menschen wirklich gleich? Vielleicht doch
nicht, denn für Nasson in seiner existentieller Einsamkeit gibt
es am Schluss des Stücks keine Heimat und kein Hinsinken in
verwandte Erde mehr, sondern nur noch die „reinigenden Flammen“:
Alles soll in mir verbrennen und dann löschen.
Ich habe keine Heimat, keine Heimat,
auch nicht als Asch’ und Staub, wie ihr doch alle. (106)
Es soll nichts von ihm bleiben und nichts erinnert werden. 108
Jahre später können wir nicht umhin festzustellen: diese letzten
Verse des Stücks weisen über seinen zeitgenössischen Horizont
weit hinaus und treffen uns mit größter Wucht, weil sie in
erschreckender Weise Paul Celans Todesfuge vorwegnehmen:
wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng ...
Von Scholzens Nasson als Inbegriff des ausgesetzten Menschen in
seiner radikalsten metaphysischen Einsamkeit ist in der
Geschichte des 20. Jahrhunderts wiedergekehrt als Häftling im
Konzentrationslager: Ist das ein Mensch? fragte Primo Levi
angesichts dieser völligen Entleerung des Menschseins und seiner
äußersten Reduktion auf den Kampf ums bloße Überleben.
Einige Anschlussfragen
Was ist neu an dem Drama „Der Jude von Konstanz“?
Die Lektüre mittelalterlicher Stadtchroniken von Konstanz hat
den Dichter von Scholz zu seinem Theaterstück inspiriert, in dem
er Bilder der Gewalt zwischen Christen und Juden auf die Bühne
gebracht hat. Die Verarbeitung dieses Stoffs ist einmalig. In
Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“, einem Stück, das 1912
uraufgeführt wurde, werden Repressionen gegen Juden
thematisiert. Bernhardi hat den Traum von Nasson realisiert und
ein Krankenhaus aufgebaut, das unter antisemitischen Druck
gerät. Das einzige Stück, das von offener Gewalt gegen Juden
handelt, habe ich in den 1980er Jahren gesehen; es ist
Jahrzehnte nach dem Holocaust entstanden. Erstaunlicherweise
scheint die Darstellung von offener Gewalt gegen Juden und
Judenverfolgungen, die es über die Jahrhunderte hinweg gegeben
hat, kein Thema der Literatur zu sein. Das konnte ich nicht
glauben und habe den Spezialisten Florian Schneider, Germanist
an der Universität Konstanz, gefragt. Hier ist seine Antwort:
„Ein Beispiel ist Heinrich Heines ‚Rabbi von Bacharach’, wo über
die Ermordung der Bacharacher Juden nach der Flucht des Rabbi
allerdings nur berichtet wird. In den bekannten antisemitischen
Texten der Romantik (etwa Arnims ‚Die Majoratsherren’) werden
hingegen eher abschreckende Beispiele jüdischer Untaten
geschildert, die meist (und propagandistisch umso
wirkungsvoller) ungesühnt bleiben. Was die Figur Ahasvers
betrifft, fällt mir kein Beispiel gegen ihn gerichteter Gewalt
ein. An der grundsätzlich antisemitischen Konzeption der Figur
(gerade auch in ihrer christlichen Bemitleidung) ändert das
natürlich nichts.“
Es sieht so aus, als stünde das von Scholzsche Drama ziemlich
einmalig da, ein Alleinstellungsmerkmal, das seine
literarhistorische Bedeutung erhöht. Von Scholz hat seinen Stoff
nicht im Fundus der literarischen Tradition sondern in den
mittelalterlichen Chroniken des Konstanzer Stadtarchivs
gefunden. Wie er mit diesem Stoff umgeht, ist eine Erwähnung
wert. Als erster Autor beugt er sich über diese Quellen und
greift diese Berichte auf, die die blutige Gewalt der Christen
gegenüber den Juden mit lapidarer Selbstverständlichkeit
darstellen:
„Anno 1333 hatten etlich Juden zuo Constentz zuo spott der
Christen und zuo verachtung der religion etwas muotwillens mit
der hl. sacrament begangen. Dessentwegen wurden derselben 9
erschlagen, 6 ertrenkt und 12 verbrennt.“ (Zitiert im
Bodenseebuch 1914, 117).
Als moderner aufgeklärter Mensch kann von Scholz mit
Hostienschändung und Ritualmord nichts anfangen. Das Interesse
des Sohns des Berliner Finanzministers gilt vielmehr der Logik
und Dynamik des mittelalterlichen Wirtschaftslebens. Er erzählt
zunächst die Pogrome in seinen eigenen Worten mit erstaunlicher
Imagination und Einfühlung nach und kommt dann zu allgemeineren
Schlüssen. Die Verfolgung der Juden mit den Mitteln Brand, Raub
und Bedrückung ist für ihn „immer ein Ausgleich in den
Besitzverhältnissen zwischen Christen und Juden (...), eine
gewaltsame Schuldentilgung, zu welcher der unverhältnismäßig
hohe Zinssatz reizen mochte“. (117) Seiner Meinung nach ist das
„Verhältnis zahlreicher armer Schuldner zu wenigen sehr
wohlhabenden Gläubigern“ der „tiefere Grund der
Judenverfolgungen“ (118). Sie hatten den Zweck der „gewaltsamen
Annullierung oder wenigstens Verminderung der Judenschulden“
(118). Diesen ökonomischen Ausgleich wiederum beschreibt er wie
ein Natur-Phänomen. Die Judenhetzen folgen aufeinander „wie
schwere Gewitter, in denen sich die angewachsene Spannung von
Jahren grell entlädt und mit ihren Blitzen weiterzündet“ (117).
Die ‚naturalisierende’ Sprache der Reinigung der Atmosphäre
durch Gewaltausbrüche durchzieht auch das Stück „Der Jude von
Konstanz“:
Nasson:
Jetzt hat sich ja die Luft einmal gereinigt,
die Spannung ist gelöst, es ist entladen,
und wieder mag es Ruh und Frieden geben. (31)
Ist das Stück antisemitisch oder nicht?
Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn in dem Stück
werden zwei Typen des Juden gezeigt, der alte und der neue Jude.
Der alte Jude (Asarjah / Shylock) ist der schlechte Jude und die
Verkörperung aller antijudaistischen und antisemitischen
Stereotypen. Der neue Jude (Nasson/ Nathan) ist der gute Jude,
der den Weg in die christliche Gesellschaft gefunden hat. Bellet
sieht in ihm sogar einen zweiten Mose:
Ich wollte Nasson sehn – ich wollt ihn rufen,
um Israel zu führen aus der Wüste – (57)
Dieser zweite Mose soll die Juden nicht aus Ägypten sondern aus
Israel herausführen!
Diese Haltung war weit verbreitet: Achim von Arnim bestand
bereits auf der restlosen Konversion der Juden, die dann im
Gegenzug auch von christlicher Seite anzuerkennen gewesen wären.
Diese Haltung hat auch Werner Sombart in seinem Buch „Die Juden
und das Wirtschaftsleben“ (1911) noch einmal formuliert. Diese
‚Lösung der Judenfrage’ besteht ganz einfach darin, dass sie ihr
Judentum aufgeben: Integration durch restlose Assimilation. Von
Scholz steht mit seinem frühen Stück dieser Position sehr nahe.
Anders als Arnim oder Sombart schildert er jedoch die Konversion
nicht nur als Lösung des Problems des Antisemitismus, sondern
zugleich auch als Voraussetzung für neuen Antisemitismus. Damit
ist seine Position sehr viel komplizierter. Außerdem sieht auch
von Scholz vorerst noch keine Auflösung von kollektiven
Bindungen. Das Stück ist sicher nicht anti-semitisch, aber sein
Autor ist es möglicherweise geworden. Denn eine steht fraglos
fest: Er hat seine Empathie für die Juden des ausgehenden
Mittelalters nicht auf die Juden seiner Gegenwart ausgedehnt.
Welche weiteren Lesarten des Stücks sind möglich?
Es gibt die naheliegende Möglichkeit, im Drama des Wilhelm von
Scholz den konvertierten Juden Nasson als Symbol für die Moderne
zu lesen. Im 19. Jahrhundert wurde der Jude zur Symbolfigur
einer Moderne, die Wurzellosigkeit, Mobilität und
Kosmopolitismus als neue Werte pries. Anfang des 20.
Jahrhunderts gab es zudem ein Grundthema, das viele Künstler
verband, mit denen von Scholz zu, Teil auch freundschaftlich
verbunden war. Thomas Mann hat es in seinem Roman „Doktor
Faustus“ so formuliert: „Es gibt im Grunde nur ein Problem in
der Welt, und es hat diesen Namen: Wie bricht man durch? Wie
kommt man ins Freie? Wie sprengt man die Puppe und wird zum
Schmetterling? Die Gesamtsituation ist beherrscht von der
Frage.“ (So die Worte des modernen Tonsetzers Adrian Leverkühn).
Die Figur des Nasson ist eine Antwort auf diesen Drang; er
zeigt, wie man sich von Bindungen löst, Traditionen aufgibt, das
Neue wagt und alles auf die Karte der Zukunft setzt. Das Stück
zeigt den Juden Nasson als den zur Moderne begabten und
befähigten durch seinen Durchbruch in die metaphysische
Einsamkeit. Alle anderen außer ihm bleiben in ihren
versichernden Bindungen und Gruppenzugehörigkeiten verhaftet. Er
lebt die Moderne als ein heroisches Wagnis und scheitert mit
diesem Projekt. Das Stück enthält viele Hinweise auf diese neue
Lebensform, die wie eine Vorwegnahme des Existentialismus
klingen. Wenn sie sich von ihren Familien löst, wird sie diese
Einsamkeit zu spüren bekommen, ahnt Bellet:
Wir sind dann ganz
allein; und ringsumher ist Fremde,
die nie aus der verlassenen Gasse weichen
und alle Nächte um uns wachsen wird. (68)
Nasson: Bellet! – Ich habe nichts als dich. Eiskälte
der Welt umgibt mich rings und dringt erstarrend
mir bis ins Herz, das mich nur halb belebt.
Ich friere ohne dich. Ich werde lautlos
mir selbst zum Schatten, der ins Leere gleitet. (69)
und etwas später:
Bellet, ich habe dich und halte dich.
Wir baun uns eine Heimat irgendwo
in fremdem Land, allein wir, du und ich. (73)
Dieser Jude verkörpert demnach eine neue Evolutionsstufe von
Identität, die die kollektiven Zugehörigkeiten überwunden hat.
Er bezieht Abstand von überkommenen Wertbindungen, die er
kritisch durchleuchtet. Distanz, Reflexion und Pazifismus sind
sein Lebenselixier.
Hier stellt sich dann nur die Frage: Was ist aus diesen Idealen
des jungen von Scholz – wenn es denn je die seinen waren -
geworden? Im Stück fällt, soweit ich urteilen kann, kein
Schatten auf diese Vision und Lebensform des einsamen Modernen,
im Gegenteil werden die Protagonisten Nasson und Bellet in der
Sympathielenkung des Stücks als idealistisch, heroisch und
tragisch in ihrem Scheitern dargestellt.
Zwischen dem 30-jährigen und dem 70-jährigen von Scholz liegen
allerdings Welten. Nach der Machtergreifung der Nazis urteilt
von Scholz nämlich ganz anders. Er spricht vom „zertretenen
Stolz unseres Vaterlandes“, von dem „einheitlichen
Zusammenschluss des gesamten deutschen Volkskörpers“ und der
„innig, nahe heimatlich, gegen die Unbill der Welt gemeinsam und
tröstlich gefühlten, liebenden Verbundenheit“ (1933, Brief an
Romain Rolland, Hendrik Riemer, 120.) Ganz offensichtlich hat
von Scholz später nicht mehr für diesen Weg in die Zukunft und
Moderne optiert. Im Gegenteil hat er sich an die
Kollektivideologie der Nationalsozialisten gehalten und diesen
zugearbeitet. Dabei hat er auch die Unverfrorenheit besessen,
sein eigenes Stück zu verraten. Dieses Stück, das im Dritten
Reich aus ideologischen Gründen nicht mehr aufführbar war, hat
er mit dem Hinweis gerechtfertigt, er habe darin bereits die
Lehre von der ewigen Feindschaft zwischen Juden und Deutschen
vorweggenommen!
Dank an das Konstanzer Theater!
Angesichts dieser schwierigen Rezeptionsgeschichte ist der Dank
umso größer ans Konstanzer Theater für die Ausgrabung dieses
Stücks aus dem Archiv und seine packende Re-Inszenierung als ein
gegenwartsbezogenes Lehrstück zum Thema Migration, Heimat und
Integration. Dieses Stück hat keine eindeutige Botschaft aber
gibt uns viel zu denken. Umso besser eignet es sich als Anstoß
zur Auseinandersetzung, zu unterschiedlichen Deutun-gen,
aktuellen Fragen und nicht zuletzt: zur historischen
Selbstaufklärung.
Alle Rechte bei der Autorin
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