AUFSÄTZE
Ekkehard Faude Joseph Albrecht von Ittner, von
Konstanz aus gesehen.
Einige Gründe, weshalb er in der Kulturgeschichte der Stadt
seinen Platz bekommen sollte.
Ich versuche Ihnen einen faszinierenden Menschen näher zu
bringen, von dem kein Porträt überliefert ist. Selbst auf der
Website des Schloss-Museums von Heitersheim, wo er als letzter
Kanzler des Malteser-Ordens erinnert wird, behelfen sie sich mit
einem Konterfei seines Freundes Johann Peter Hebel.
Dabei gab es natürlich Porträts; sie sind nur nicht gefunden.
Porträtzeichnungen, Bilder, gehörten in den Jahrzehnten vor der
Erfindung der Fotografie ja zu den Freundesgaben. Aus einem
Brief von Heinrich Zschokke, der als Herausgeber seiner
Zeitschrift „Erheiterungen“ Ittner immer wieder Texte entlockte,
wissen wir: dass an der Porträtwand in seiner Aarauer Stube ein
Bild von Ittner hing. Wenn wir nach geschriebenen Bildern
suchen: In den Erinnerungen Friedrich Hurters werden wir fündig,
er hat als junger Mann den 53jährigen Ittner erlebt, als er
1807/08 in St. Blasien das dortige Benediktinerkloster im
Auftrag des badischen Großherzogtums auflöste: „Der Vater meines
Freundes war ein großer, stattlicher Mann, corpulent, mit
schönen, regelmäßigen Zügen, imponierend in seiner Haltung.“
Aber das fehlende Porträt ist nicht die einzige Leerstelle. Die
akademische Forschung hat diesen Joseph Albrecht von Ittner seit
bald 200 Jahren am Rand gelassen. Wir sind, was Texte angeht,
auf jene vier schmalen Bände angewiesen, die 1827-29 bei Wagner
in Freiburg ein einziges Mal gedruckt wurden. Selten in
Bibliotheken und noch seltener im Antiquariat, sind die Bände in
einem verdienstvollen Digitalisierungs-Projekt der UB Freiburg
inzwischen frei zugänglich. Zusammengestellt und mit einer
grundlegenden Biographie versehen wurde jene Buchausgabe von dem
Wessenberg nahestehenden Heinrich Schreiber, bei dem Jacob
Burckhardt später studiert hat und den – noch später – die
päpstliche Kurie wegen seines freieren katholischen Denkens
exkommunizierte. Von Ittners Texten wäre aber noch viel mehr zu
finden, man müsste sie in Jahrbüchern, Almanachen und diversen
Zeitschriften zwischen 1790 und 1825 suchen.
Ein Weltneugieriger in sieben Sprachen
Eine staunenswerte Bandbreite von Interessen wird sichtbar, ein
ernsthafter Aufklärer, der immer wieder auch Humor als
notwendige Farbe der Weltsicht umsetzte: Er schrieb
Erheiterungen über Tabak- und Biergenuss, Erörterungen über
Sitten asiatischer Nomadenvölker, er schrieb über
Bevölkerungswachstum und die Vernichtung von Kindern durch die
Arbeit in Fabriken des englischen Frühkapitalismus – er hat
auch, ein Bewunderer von chinesischer Kultur und Lebensformen,
den Import jener Himalajaziegen, von denen die Kaschmirwolle
kam, in die europäischen Alpen angeregt; mit Erfolg, wie sein
Biograph anmerkte.
Man müsste die Denkschriften zur Verteidigung des Malteserordens
erkunden, um seine Wertschätzung von Organisationen zu
verstehen, die es geschafft hatten, Jahrhunderte zu überdauern;
die letzte schrieb er, schon als Staatsrat in badischen Diensten
(„Paul der Erste, russischer Kaiser, als Großmeister des
Malteserordens : Wichtiger Beitrag zur neuesten Geschichte
dieses Ordens“), vermutlich im Kloster St. Blasien. In einer
Mischung aus Zorn und Bedauern beschreibt er das Ende des Ordens
nach der Besetzung Maltas als eine Geschichte aus politischem
Verrat, Unfähigkeit, Intrigen und dem Unglück der Ermordung des
machtvollen russischen Beschützers. Eine faszinierende Lektüre
wären die diplomatischen Berichte, die Ittner als erster
Gesandter des Großherzogtums Baden ab 1808 für seine Regierung
verfasste. Er übernahm dieses Amt, als es Gerüchte über eine
Auflösung der eidgenössischen Gebiete gab und der badische
Außenminister seinen politischen Wunschtraum von einem
Königreich Helvetien schon ausgeträumt hatte, das ein um die
deutschschweizer Kantone erweitertes Baden umfassen sollte,
natürlich unter der Karlsruher Dynastie. Von Freiburg und dann
von Konstanz aus reiste Ittner bis 1816 jeweils zur Schweizer
Tagsatzung – noch gab es keine Hauptstadt oder zentrale
Regierung, jeder der Kantone machte eine selbständige
Außenpolitik, entsprechend kompliziert wurden die Verhandlungen.
Bei der Tagsatzung setzte Ittner Respekt, Geduld und
rechtsgeschichtliche Kenntnisse zur Verbesserung der Beziehungen
ein. Umsicht war nötig, nachdem Napoleon die Grenzen innerhalb
Europas im Vormarsch seiner Truppen geändert hatte. Auch die
Grenze entlang des Rheins war ja erst von dem großen Franzosen
diktiert worden und sie hatte ein flussübergreifendes Gefüge aus
komplexen Rechten und Pflichten durchtrennt, zwischen den neu
gebildeten Kantonen Aargau und Thurgau sowie dem massiv
vergrößerten badischen Staat. Die schlichte Geradheit der
Schweizer, die ohne die Maskeraden der höfischen Etikette
auskamen, wirkten auf Ittner wie die Lebensform einer besseren
alt-deutschen Art. Die Dienstreisen in sein „Adoptivvaterland“
waren bald auch Reisen zu Freunden in Schaffhausen, Aarau, Bern
und Zürich.
Wer Ittner begreifen wollte, dürfte auch die Pionier-Arbeiten
des praktizierenden Botanikers und Naturforschers nicht beiseite
lassen, dieser Mann lebte beispielhaft in der Epoche der
Enzyklopädie: Im Mainzer Universitätsarchiv ist Ittners
"Verzeichnis aller in dem Fürstenthum Hohenzollern
wildwachsenden Bäume und Gesträucher" bewahrt, die er in jungen
Jahren als Archivar beim Fürsten von Hohenzollern-Hechingen
erarbeitet hat. Irgendwo in den Schränken des Hauses Baden
könnte auch jene Zusammenstellung der Obstsorten rings um den
Kaiserstuhl liegen, die Ittner bei seinem Übertritt in den
badischen Staatsdienst dem Großherzog als Geschenk überreichte.
Ittner war – mit Spezialisierung auf Botanik und Topographie –
zur Zeit seiner Arbeit als Kurator der Freiburger Universität
unter den ersten Mitgliedern der Donaueschinger „Gesellschaft
der Freunde vaterländischer Geschichte und Naturgeschichte an
den Quellen der Donau“ und er wurde später Ehrenmitglied der
Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Sein botanisches Wissen
hat ihm solche Wertschätzung beim Naturforscher Karl Christian
Gmelin eingebracht, dass dieser in seiner „Flora Badensis“ eine
Wasserpflanze als „Ittnera“ benannte.
Ich gestehe: Erst einmal ist es verwirrend, wenn man die
Produktivität Ittners in seinen beruflichen Zwängen und seinen
frei gewählten Themen als Autor sichtet. Und je länger man ihn
liest, auch seine zur Erheiterung und Unterhaltung geschriebenen
Texte, desto mehr regt sich zudem das Gefühl: dass man die
Stimmen, die er aus der europäischen Überlieferung in seine
Texte verwoben hat, gar nicht alle vernehmen kann. (Johann Peter
Hebel wechselte mit ihm Briefe in Latein; Griechisch, wie es
Ittner wohl vorgezogen hätte, war ihm doch zu mühsam.) Ittners
Attraktivität für Zeitgenossen hing damit zusammen, dass sie von
diesem Freund und Gastgeber mit einem umfassenden Zitatenvorrat
aus Jahrtausenden unterhalten wurden. „Ich lese nicht nur für
mich, ich lese auch für meine Freunde“ – war einer seiner
Leitsprüche. Für das Verständnis seiner Texte heißt das aber:
Man müsste den griechischen Homer und den lateinischen Vergil
etwa so auswendig können wie er, möglichst auch spanische,
englische, italienische Literaturen im Original gelesen haben
und man dürfte sich auch nicht wundern, wenn er französische
Neuerscheinungen mit verarbeitet, – den um 14 Jahre jüngeren
katholischen Weltneugierigen Chateaubriand mit seinem „Génie du
Christianisme“ zum Beispiel.
Versetzung nach Konstanz
Dieser immens gebildete Mann kam in das Städtchen Konstanz, das
keine 5000 Einwohner zählte und das gerade erst noch
vorderösterreichisch gewesen war. Eine von Kriegszügen der
Napoleonzeit gebeutelte Stadt, noch eingeschlossen von über
dreißig mittelalterlichen Türmen und Toren, – ein geducktes
Gemeinwesen, das nach der Aufhebung von Kirchen und Klöstern mit
dem Verlust einer großen, betuchten Schicht von Geistlichen
zurechtkommen musste und auch einen Großteil von wirtschaftlich
aktiven Genfer Emigranten wieder verloren hatte. Ittner war das
Gegenteil des Verhockten, er hatte das Studium in Mainz und
Göttingen, juristische Stationen in Wetzlar, Regensburg und Wien
hinter sich, war in Hechingen Hofrat im Bereich Forstamt (mit
Sitz in der Regierung) gewesen. Dort hatte er Maria Therese
Frank geheiratet, Tochter des Hohenzollerischen Kanzlers, sie
machte ihn mit vier Kindern zum begeisterten Vater. Ab 1786
könnte ein glückliches Familienleben mit einem weithin gerühmten
gastlichen Haus in Heitersheim beschrieben werden, mehrere
Zeitgenossen haben es überliefert. Von dort aus ist Ittner als
Verwaltungschef des Malteserordens deutscher Zunge – mit Besitz
und Rechtsansprüchen bis nach Dänemark, Skandinavien, Polen –
auf zahlreiche Auslandsreisen gegangen. Und bevor er auf Geheiß
seiner Regierung den Wohnsitz im äußersten Zipfel Badens zur
Schweiz hin nehmen musste, hatte er vier Jahre lang mit großer
Energie als Kurator die Freiburger Universität auf neuen Kurs
gebracht, in einer Stadt mit einer gebildeten Bürgerschicht und
anregender Geselligkeit, zudem für Freunde von weiter her
verkehrsgünstig zu erreichen. Wundert sich jemand, dass er die
Versetzung nach Konstanz als Seekreis-Direktor äußerst ungern
befolgte?
Goethe, Napoleon, Freiherr von Stein
Ittner, der in der Mainzer Gegend aufwuchs, ist nur fünf Jahre
jünger als der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe. Bei seiner
juristischen Ausbildung am Reichskammergericht in Wetzlar hat er
den jungen Anwalt Goethe nur knapp verpasst. Vom berühmten
Dichter hielt er sich in späteren Jahrzehnten auffallend fern,
hin und wieder polemisierte er in Aufsätzen dezent gegen ihn, –
auch gegen das aufgeregte, verführerische Schreiben der
Romantiker. An erster Stelle im Olymp stand für Ittner ein
Dichter, den heute nur noch Germanisten kennen, Johann Georg
Jacobi, der mit Wieland zusammenarbeitete und eine Dichtkunst
bevorzugte, die wiederum Goethe in seinem „Wilhelm Meister“
behutsam abhakt („bringt man mir das in Rhythmen und Reimen, so
bin ich auf meinem Sofa dankbar“) .
Jacobi war europaweit bekannt damals, wurde der erste
protestantische Professor im katholischen Freiburg und war zudem
bald der spiritus rector eines literarisch interessierten
Frauenzirkels. Über diesen 1814 verstorbenen Jacobi, Freund
seiner schönsten Lebensjahre, der für ihn der Repräsentant einer
untergehenden europäischen Kulturprägung blieb, schrieb Ittner
in seinen Konstanzer Altersjahren noch eine Biographie, die
letzte größere Arbeit.
Ittner ist 15 Jahre älter als der korsische Hasardeur Napoleon,
dessen Eroberungspolitik auch sein Leben fatal veränderte.
Napoleon eroberte die Insel Malta auf dem Weg seines
Ägyptenfeldzugs, vertrieb die dort residierende Ordensleitung
und bewirkte ein Ende jenes Malteserordens, für den Ittner im
idyllischen Heitersheim 20 Jahre lang als Kanzler tätig gewesen
war. Durch den Verlust dieser angesehenen Position kam es
überhaupt dazu, dass Ittner in den Dienst des Großherzogtums
treten musste: Baden verdankte eben jenem Napoleon eine große
Gebietserweiterung und brauchte dringend politisch erfahrene
Verwaltungsspezialisten. br />
Ittner ist drei Jahre älter als der preußische Reformer Freiherr
von Stein, der Mitorganisator des Widerstands gegen Napoleon und
Berater des russischen Zaren. Vielleicht haben sich die beiden
schon in Göttinger Studienzeiten kennengelernt. In der
machtvollen Denkart der Aufklärung bleibt Ittner stärker dem
Überkommenen verhaftet als Stein. Aber es ist bezeichnend, dass
der Reichsfreiherr von Stein 1820 eigens nach Konstanz reist, um
Ittner zu treffen. Er kommt nicht wegen Wessenberg, mit dem er
beim Wiener Kongress zu tun hatte. Es ist Ittner, der mit ihm
nach St. Gallen reist und ihn dort mit den Handschriftenschätzen
bekannt macht. Denn der Freiherr von Stein hat damals – nach
seinem Abgang aus der Politik – die „Gesellschaft für ältere
deutsche Geschichtskunde“ mitbegründet, sie wollte die
historischen Dokumente zur Geschichte der Deutschen aus
verstreuten Archiven und Bibliotheken sammeln, aufarbeiten und
sie als „Monumenta Germaniae Historica“ veröffentlichen. Die MGH
ist heute noch die beste Adresse für mediävistische
Grundlagentexte, damals war sie erst ein Zukunftsprojekt:
Deutschland als zusammenhängenden Staat gab es ja noch lange
nicht. Nach dem Schock der Kriege und der französischen
Besatzungsjahre wollten sich geschichtsbewusste Männer um die
Aufklärung einer gemeinsamen Vergangenheit bemühen und so einen
älteren Zusammenhalt erkennbar machen. Unter den 57 Gründernamen
aus den deutschsprachigen Ländern – auch Wilhelm von Humboldt
ist mit dabei –, taucht aus Konstanz nur ein Name auf: Joseph
Albrecht von Ittner.
Vergessen in Konstanz
Warum hat man ihn in Konstanz so gründlich vergessen? In
Freiburg, wo er nur fünf Jahre lebte, ist eine Straße nach ihm
benannt; in Heitersheim sowieso. In Konstanz verkündete zwar
noch ein Extrablatt am 9. März 1825 den Tod des Staatsraths von
Ittner, der 13 Jahre lang in der Stadt gelebt hatte. Aber dann?
Das Vergessen fing früh an, man kann private wie politische
Gründe annehmen: Hätte Ittner ein Vermögen geerbt oder aus
kirchlichen Mitteln so reichlich verdient wie sein um 20 Jahre
jüngerer Freund Ignaz Heinrich von Wessenberg, hätte er also der
Stadt eine Stiftung hinterlassen können, mit einer Immobilie um
seine Bibliothek: dann wäre den Konstanzern ein Gedenkstein
leichter gefallen. So aber kamen Ittners Bücherschätze kurz nach
seinem Tod zwar ans damalige Gymnasium; es wurde aber nicht
einmal in einem Inventar überliefert, welche Druckwerke in der
Bibliothek des heutigen Suso-Gymnasiums aus Ittners Besitz
stammen. Hätten familienstolze Erben sich um die öffentliche
Bewahrung seines Namen so gekümmert, wie das bei Nachfahren etwa
der Familien Leiner, Venedey, Sauerbruch zu erleben war, so
hätten wir vielleicht eine Ittner-Schule oder einen
Ittner-Platz. Eine solche Präsenz hätte einer anderen,
tiefgründigeren Verdrängung entgegenwirken können, über deren
politische Dimension man nur spekulieren kann: Wir wissen
seltsam wenig darüber, wie die Konstanzer nach 1800 den Übergang
aus der jahrhundertelangen Bindung an Österreich ans straff
regierende Baden verkraftet haben; die Identifikation mit einem
liberalen und reformfreudigen Staat konnte sich erst später
entwickeln, als eine Verfassung die Bürger direkt beteiligte.
Von den Freiburgern sind noch 1815 Versuche bekannt, durch eine
Delegation beim Kaiser in Wien die Rückkehr aus der badischen
Kuratel heim zur österreichische Herrschaft zu erlangen.
Seekreisdirektor für zwei Jahre
Dem Seekreisdirektor Ittner wird als Vertreter der Karlsruher
Regierung nicht unbedingt nur Sympathie entgegengebracht worden
sein, als er im Jahr nach der Verwaltungsreform seinen Dienst
hier antrat. Dieser Seekreis war 1810 eben erst frisch gebildet,
er war einer der zehn Verwaltungseinheiten in denen sich der
aufs Dreifache vergrößerte Staat neu organisierte. Der erste
Behördenchef Hofer war keine zwei Jahre im Amt gewesen. Was
hatte ein Seekreisdirektor überhaupt zu tun? Als Leiter der
neuen Mittelbehörde hatte er es nicht leicht, er sollte von der
Polizeiaufsicht über die Schulpflege bis zur
Wirtschaftsförderung die Effizienz der Karlsruher Verwaltung
durchsetzen, samt einer stärkeren Kontrolle der
bürgerschaftlichen Selbstverwaltung. Dies alles im Sinn eines
bürokratischen Absolutismus, der in Baden noch bis weit über den
Wiener Kongress ohne Verfassung auskam. In der löchrigen
Literatur über Ittner – zumeist Lexikon-Artikel, die auf
früheren beruhen – gibt es mehrere Versionen darüber, ab wann
und wie lange er hier Seekreisdirektor war; die Verwirrung
begann schon im Nekrolog, den der Freiburger Theologe und
Altphilologe Leonhard Hug schrieb – er behauptete einen Beginn
der Direktoriumszeit erst nach dem Ende der Gesandtentätigkeit
in der Schweiz. Dabei ist der Befund aus seiner Personalakte
eindeutig. Ittner wurde im Spätjahr 1811 nach Konstanz versetzt
mit der Begründung, er sei als Gesandter dort näher an der
Schweiz. Zugleich wurde ihm das Amt des Seekreis-Direktoriums
aufgehalst. Er hat es nach zwei Jahren deutlich entnervt
zurückgegeben. Im Schreiben an seine Regierung umriss er das
Amt, „das ich mir durch 2 volle Jahre mit einem Aufwande von
vielen Unkosten, von täglich wenigstens 10 Stunden regelmäßiger
Arbeit treu, und, wie ich hoffte, unklagbar verwaltet habe. Ich
genoß keine Entschädigung als freyes Quartier.« Ittner nahm
lieber eine Rückstufung als Beamter in Kauf. Seine diplomatische
Tätigkeit setzte er bis nach dem Wiener Kongress fort und er gab
sie nur unfreiwillig auf: Im Januar 1816 erfuhr er gerüchteweise
aus Zürich, dass die Karlsruher Regierung bereits einen
Nachfolger für ihn platziere. (Dass sich dieser Höfling als so
inakzeptabel erweisen sollte, wie Ittner dies in seinem
Protestschreiben an den badischen Außenminister vorhersagte,
wurde kein wirklicher Trost.) Ittner sah sich ohne genügend
Rückhalt in der badischen Regierung („wo ich als Ausländer, in
Mainz gebürtig (…), nur wenig Bekanntschaft habe“) . Auch als
dem 62-Jährigen weiterhin volle Gehaltszahlung zugesichert und
er mit dem Kommandeur-Kreuz des Zähringerordens ausgezeichnet
wurde, quittierte dies Ittner mit Dank und dem wohltemperierten,
aber kühlen Hinweis, dass die Fortzahlung ihm rechtlich ohnehin
zustand und andere Gesandte von ihren Staaten einen
entsprechenden Orden sehr viel früher bekommen hätten. Am
Beispiel dieses biographischen Katarakts – es brachte nicht nur
den Verlust einer anspruchsvollen politischen Tätigkeit,
erschwert wurde ihm auch der Kontakt mit seinem Schweizer
Freundeskreis – kann die Verschränkung von Leben und Literatur
bei Ittner beobachtet werden: In der nur wenige Wochen später
geschriebenen Erheiterung „Geschichte meiner Familien-Perücken“
hat er die Figur eines alten Staatsdieners gezeichnet, der nach
einem öffentlichen Schimpf bei Hofe auf Genugtuung oder seiner
Entlassung besteht. In der Fiktion leistet er sich einen idealen
Landesherrn.
Ein letztes Amt
Ittners letzte offizielle Mission brachte ihn zwei Jahre später
auf einen ehrenvollen wie aussichtslosen Posten nach Frankfurt
a. M., als Bevollmächtigter der badischen Kommission bei einer
Kirchenkonferenz über die katholischen Belange in den Staaten
des deutschen Bundes. Beim Wiener Kongress hatten
unterschiedliche katholische Lobbyisten – der vom Papst bereits
abgelehnte Wessenberg war einer davon – eine dringend nötige
Neuregelung mit der Kurie eher erschwert. In Frankfurt
versuchten Regierungsvertreter vor allem der ehemaligen
Rheinbund-Staaten eine Quadratur eines Kreises: Sie wollten den
strategischen Wunsch der Regierungen nach einer
landeskirchlichen Ordnung umsetzen, die den neuen Gebietsgrenzen
entsprach; zugleich wünschten sie sich – wie es der mächtigste
deutsche Bischof Dalberg schon zu Napoleons Zeiten geplant hatte
– einen größeren Verbund mit nationalem Eigengewicht. Eine
gegenüber dem Papsttum selbständigere Bischofskirche mit einem
deutschen Primas an der Spitze. Dass die Karlsruher Regierung
den Staatsrat aus Konstanz als Verhandlungsführer schickte, wird
sich Wessenberg gewünscht haben, an dem der Landesherr entgegen
den Absetzungswünschen des Papstes noch festhielt. Wessenberg
hatte allen Grund, die eigenen Positionen von dem mit ihm
befreundeten Ittner umsichtig vertreten zu wissen; auch für
dessen Freiburger Freunde war der Wessenbergianismus die
erwünschte Reformbewegung. Ittner verteidigte die Ergebnisse der
Konferenz, als deren Ablehnung durch die Kurie schon klar war.
Er selbst war überraschend nicht nach Rom zu deren Überreichung
und Erläuterung entsandt worden, obwohl er doch fließend Latein
und Italienisch sprach. Persona ingrata kann er 1819 aus
verschiedenen Gründen gewesen sein, seine bekannte Nähe zu
Wessenberg konnte der Kurie nur missfallen und eine Zielscheibe
der gehässigen Ordenspublizistik war Ittner, seit er das
Benediktinerkloster St. Blasien liquidiert hatte. Er kam auch
körperlich geschwächt aus Frankfurt zurück. Als die Karlsruher
Regierung ihn als Kurator der Universität Heidelberg berufen
wollte – nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 ein neu
geschaffener Posten der verschärften politischen Zensur – lehnte
Ittner dies mit Hinweis auf sein Alter ab.
Die letzten Jahre
„Je weiter ich im Leben vorrücke, desto mehr überzeuge ich mich,
wie viel mir noch zu erlernen übrig bleibt.“ – „Die beste
Erholung von der Arbeit, ist der Wechsel der Arbeit“. Ein Mann
mit solchen Grundsätzen war gegen Langeweile auch im stillen
Konstanz gefeit. Er verfasste in seinen letzten fünf
Lebensjahren nicht nur die bereits erwähnte Jacobi-Biographie.
Seinen Homer las er aus einer wohlweislich angeschafften
besonders groß gedruckten Ausgabe. Ihm fehlten am See wohl immer
noch die bürgerlich-aufklärerischen Zirkel seiner Freiburger
Lebensform – auch von Konstanz aus blieb er aktives Mitglied in
der Freiburger Lesegesellschaft, die er 1808 in einem illustren
Kreis mitbegründet hatte. Besucher von weither, die wie Freiherr
von Stein und der Philologe Friedrich August Wolf von Berlin
anreisten, konnten solche Geselligkeit kaum ersetzen. Sein
Biograph Schreiber weiß zu berichten, dass Ittner in Konstanz
nur mit Wessenberg und dem Dompfarrer Strasser Umgang hatte, sie
wohnten sozusagen in Sichtweite. Im nahen Eppishausen (Thurgau)
blieb ihm der Freund Laßberg, der winters eine Wohnung in
Konstanz nahm, um näher bei Ittner zu sein.
Die Konstanzer des 19. Jahrhunderts hatten vielleicht zu wenig
Grund, Ittner im Raum öffentlicher Überlieferung zu bewahren; er
war ein mit Abstand respektierter Vertreter der neuen Regierung
in Karlsruhe, der sich zudem selbst rar gemacht hatte, als
Gesandter war er jedes Jahr monatelang abwesend. Aber das muss
ja für uns heute kein Grund sein, Ittner weiter zu übergehen. Er
war von einem geistigen und politischen Kaliber, wie ihn das 19.
Jahrhundert der Stadt selten bescherte. Eine
kulturwissenschaftliche Betrachtung könnte an seiner Person
Bruchlinien und Verwerfungen jener „Sattelzeit“ der
Revolutions-Epoche kenntlich machen.
Postskriptum über Ittners Kopf:
Der Mann, der noch Perücken getragen hatte, den Zweispitz des
badischen Beamten übernahm, dem es unter unprätentiösen Bürger
in der Schweiz aber besonders gefiel, wie sein Biograph
erzählte: „Zwar war Ittner kein eigentlicher Feind der Etikette,
da, wo sie, wie an Höfen nöthig ist; dennoch lobte er die
Einfachheit der schweizerischen Sitten, die ihn meistens
derselben überhob, und wenn besondere Anlässe ihm einigen Zwang
auflegten, so war er des Augenblicks froh, welcher ihn desselben
entledigte. Oft warf er, bei seiner Rückkehr nach Hause, eiligst
seine Amtskleidung ab und schlüpfte in seinen weiten Oberrock
mit den Worten: ‚Jetzt ist mir wieder wohl‘“.
Überarbeitete Fassung eines Vortrags vom 5. Juni 2013 für die
Veranstaltungsreihe „10 x Staunen“ im Rosgartenmuseum Konstanz)
Copyright Libelle Verlag
Besonders hilfreiche Quellen bei der Vorbereitung waren:
Die vierbändige Ausgabe von Ittners Werken ist hier in digitaler
Form zu finden:
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ittner1827ga?sid=2fa58ec37e5e%207dc65787e3239929396d
Weitere digitale Einzeltexte:
IIttner: Jacobi‘s Leben
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ittner1822/0012?
sid=62ab2253ba8f6454cc08641f766ed1e0