Lesestoff entdecken

Markus Manfred Jung

NEBELGISCHT. Vom Aufbrechen und Ankommen

Bucher Verlag Hohenems, 200 Seiten

Drei Wochen im August
Vom Wiesental bis zum Lago di Mergozzo
Vom Aufbrechen und Ankommen 

Weil man ihn mögen muss und weil man das, was er erzählt, nachvollziehen kann, folgt man Markus Manfred Jung gern. Nach einem Berufsleben als Lehrer machte er sich im vergangenen Sommer von seiner Heimat im Wiesental aus auf den Weg durch die Schweiz. Er wanderte absichtslos und planlos südwärts, erlebte seinen Körper, die Natur, die Wunden, die die Menschen in sie gehauen haben. Er begegnete vorwiegend freundlichen Menschen, aber auch etlichen, denen er dann doch lieber wieder aus dem Weg ging
Und er schrieb alles auf in seinem Wiesentäler Alemannisch, aber auch immer wieder in kleinen Betrachtungen in der Hochsprache, über Aufbruch oder Das Böse, über Notdurft oder magische Namen, über Gott und die Welt und über das Ankommen.
Offenbar ist Markus Manfred Jung mit sich und seiner Welt im Reinen, oder anders gesagt: die 450 Kilometer zu Fuß halfen ihm dabei ins Reine zu kommen. Selbstverständlich begegnet Er auch allen Brüdern im Geiste, Goethe und Johann Peter Hebel, Jeremias Gotthelf und Joerg Laederach, Walle Sayer und José Oliver.
Ein hübsches Mitbringsel in die neue „pflichtlose Raum-Zeit“, die für ihn nun angebrochen ist, ist das vorliegende Buch. Beneidenswert, wie er mit seinem Vater, dem Schriftsteller Gerhard Jung, und seiner Partnerin Bettina Bohn im Reinen ist, die nach seiner Rückkehr seine Aufzeichnungen mit ihren aquarellierten Landschaftssilhouetten geschmückt hat, die freilich auch Silhouetten von menschlichen Körpern sein könnten.

Eckhard Lobsien

Hermann Kinder – Textkunst und Archiv

Königshausen & Neumann, Würzburg 2023. 350 Seiten, 38 Euro

Hermann Kinder war bis 2008 als Oberrat für Germanistik und Literatursoziologie an der Universität Konstanz beschäftigt. Neben dem Brotberuf war er einem größeren Publikum als Autor von Romanen, Gedichten und Essays bekannt. Er mischte aber auch in der Literaturlandschaft Bodensee mit, so gehörte er 1998 zu den Mitbegründern von Forum Allmende. Einer seiner Konstanzer Wegbegleiter war Eckhard Lobsien, der nach seiner Habilitation bis 2011 als Professor für Englische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/Main wirkte. Lobsien ist Verfasser von 18 literaturtheoretischen und literaturhistorischen Monographien, die jüngste widmete er dem 2021 verstorbenen Schriftstellerfreund. Das literarische Werk Kinders durchläuft bekanntlich vielfache Veränderung vom realistischen Erstling „Der Schleiftrog“ (1977) über hochkomplexe Prosa wie „Ins Auge“ (1987) bis zu autobiographisch grundierten Werken, hier wäre „Der Weg allen Fleisches“ (2014) zu nennen. Diesen Prozess untersucht Lobsien in aufschlussreichen Textanalysen und unter Einbeziehung von Materialien aus dem Felder-Archiv Bregenz, wo Kinders Nachlass Kinders lagert. Dabei zeigt sich, so der Autor, die Physiognomie eines in allen Spielformen unverwechselbaren Gesamtwerks, das sowohl in der Literaturkritik als auch in der Wissenschaft bislang unter verkürzenden Schlagworten registriert wurde. Lobsiens Buch fordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, es belohnt den Leser mit neuen Erkenntnissen über das literarische Wunderwerk Kinders.

Arnold Stadler

Irgendwo. Aber am Meer

S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2023. 224 Seiten, 24 Euro

Fritz Lang hat dem Schriftsteller Arnold Stadler die Welt schöner gemacht. Der Stuttgarter Künstler war in den 1920er-Jahren in Tansania und malte in der Folge immer wieder und wieder den Kilimandscharo. Eines dieser Bilder hängt, will man Stadlers Ich-Erzähler in „Am siebten Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo“ glauben, im elterlichen Haus des Autors in Rast. Es war sein Kindheitstraum den 6000 Meter hohen Berg zu sehen. Was im Januar 2017 gelang. Stadler schrieb über den Besuch einen Auftragstext für eine Beilage der „Zeit“, 2021 erschien der Roman. In seinem neuen Buch „Irgendwo. Aber am Meer“ taucht der Afrika-Reisende wieder auf. Die Handlung ist dünn. Doch auf Handlung kommt es in Stadlers Büchern nicht an. Seine Romane werden der Sprachkunst wegen gelesen. Aber auch wenn sich Stadler nicht um den Plot schert, ein Handlungsgerüst hat „Irgendwo. Aber am Meer“. Der Roman ist in sechs Kapitel gegliedert. Im ersten und längsten beschreibt Stadler eine misslungene Lesung aus dem Kilimandscharo-Buch in der Westerwälder Provinz. Der „Experte im Nichtwissen“ macht sich darauf, tief verletzt mit Taxi und Zug auf den Weg nach Tuttlingen, in die Welthauptstadt der Medizintechnik. Hier hatte er seinen Dacia geparkt und dann geht’s weiter nach Hause, nach Rast. Aber der Erzähler, also Stadler, hat noch ein anderes Ziel: die griechische Insel Ithaka, wo er ein Buch „über dies und alles“ schreiben will. Die Insel von Odysseus, dem Vater aller Irrwege, betritt er aber (doch) nicht. Der Blick auf das Eiland genügt. Wie einst am Kilimandscharo.

Martin Walser

FISCH UND VOGEL LASSEN GRÜSSEN

Hiesige Gedichte

Klaus Isele Editor, Eggingen 2023. 76 Seiten, 12,90 Euro

Bereits mit zwölf Jahren schrieb Martin Walser erste Gedichte. Dass sich der Schriftsteller später auf das Scheiben von Romanen, Novellen und Erzählungen konzentrierte, hat viele Gründe. Dass mit Lyrik allein nur schwer ein Haus und eine Familie zu finanzieren sind, das ist einer davon. Trotzdem veröffentlichte er immer wieder „Augenblickspoesie“, wie es im Klappentext zu „Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist“ (2021) heißt. Zum 96. Geburtstag (24. März 2023) beschenkte er uns mit dem Gedichtband „Fisch und Vogel lassen grüssen. Hiesige Gedichte“, den er gemeinsam mit dem Verleger Klaus Isele aus veröffentlichten Texten zusammengestellt hat. „Fisch und Vogel“, enthält 50 „hiesige“ Gedichte, Isele spricht von einer „lyrischeN Vermessung der Bodenseelandschaft“, Walsers Lebenslandschaft. Das Ergebnis: Eine Liebeserklärung. Der Band enthält wunderbare, atmosphärisch dichte Verse. Sie leben von Walsers kristallklarer, anmutiger Sprache. Tochter Alissa Walser steuerte farbenfrohe Aquarelle bei, die auf die Quellen der poetischen Perlen Walsers verweisen und damit sein Heimatlob kongenial ergänzen.

Monika Taubitz

Miniaturen der Erinnerung


Neisse Verlag, Dresden 2022. 226 Seiten, 18 Euro

Viele Schriftsteller schreiben im Alter über das Alter oder machen sich Gedanken über den Tod. Anders Monika Taubitz, in Meersburg lebende Schriftstellerin. Die 85-Jährige klagt nicht über das Alter, spekuliert auch nicht über den Tod. Zwar spricht sie in ihrem neuen Buch „Miniaturen der Erinnerung“ davon, dass auch ihr Abend gekommen sei. Sie schaut aber dankbar zurück auf das Gute in ihrem Leben, „das reich an Begegnungen und Schönem ist“. Taubitz holt vergrabene Lebensläufe ins kollektive Gedächtnis zurück und bringt sie zum Leuchten. Aber nicht nur lieben Verwandten oder bewunderten Menschen widmet sie eine Prosa-Miniatur, sondern auch bekannten Namen. Der Freifrau Helene von Bothmer etwa, die nach der „Stunde Null“ das Droste-Hülshoff-Museum in Meersburg neu aufstellte, ebenso Hilde Domin, Droste-Preisträgerin des Jahres 1971, und auch dem Emigranten Max Tau, den sie während einer Tagung des „Wangener Kreises – Gesellschaft für Literatur und Kunst“ näher kennen lernte. Insgesamt 27 „kleine Bilder“ sind in dem Buch versammelt. Die Reihe der Porträts ist unvollständig, wie Taubitz notiert. Aber vielleicht folgt noch ein zweiter Band?

Dorothea Cremer-Schacht/Siegmund Kopitzki

Lotte Eckener

Tochter, Fotografin und Verlegerin

UVK, Tübingen 2021. 236 S., 18 €.

Lotte Eckener (1906 Friedrichshafen – 1995 Konstanz) stand immer im Schatten ihres Vaters Dr. Hugo Eckener, dem Nachfolger des Luftschiffpioniers Graf Zeppelin. Dabei hat sie als Fotografin und Verlegerin eigene Spuren hinterlassen. Sie studierte in den 1920er-Jahren in München das Handwerk der Lichtbildkunst und perfektionierte es im Atelier von Alexander Binder in Berlin, wo sie auch Carl Zuckmayer kennenlernte. Nach ihrer Rückkehr an den Bodensee Mitte der 1930er-Jahre entdeckte sie mit der Kamera die heimische Landschaft und Sakralkunst neu. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie zu den Gründerinnen von zwei Verlagen, in denen sie eigene Fotobände und bis in die 1960er-Jahre hinein Bücher von und mit Künstlern wie Max Ackermann, Otto Dix und Hermann Hesse herausgab. Dorothea Cremer-Schacht und Siegmund Kopitzki dokumentieren in „Lotte Eckener – Tochter, Fotografin und Verlegerin“ dieses bewegte Leben. Beiträge von Manfred Bosch, Uwe Eckener, Christiane Hermann und Bernd Stiegler runden das Bild einer Persönlichkeit ab, an die zu erinnern lohnt. Cremer-Schacht/Kopitzki haben zudem Eckeners Leben im Auftrag von Forum Allmende im Frühjahr 2021 in einer Ausstellung im Hesse-Museum Gaienhofen rekonstruiert.

Siegmund Kopitzki/Anton Philipp Knittel

Jedes einzelne Leben ist die Welt

Neue Einblicke in Arnold Stadlers Text(t)räume

Gmeiner Verlag, Meßkirch 2020. 315 S., 28 €.

Der im „Geniewinkel“ Meßkirch als Sohn einer Bauernfamilie geborene und im nahen Rast aufgewachsene Arnold Stadler zählt zu den bedeutendsten deutschen Gegenwartsautoren. Für sein autobiografisch gefärbtes erzählerisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1999 den Georg-Büchner-Preis. Stadler gilt als Meister abgründiger Sprachbilder, aphoristischer Pointen, verzweifelt komischer Geschichten und traurig-heiterer Helden. Als „Satzdenker“ ist er ein Genie einer Ästhetik des Um- und Weiterschreibens und längst „Gegenstand“ der Literaturwissenschaft. Anlässlich seines 65. Geburtstages fand 2019 im Meßkircher Schloss eine interdisziplinäre Tagung mit Wissenschaftlern und Stadler-Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Siegmund Kopitzki und Anton Philipp Knittel, Moderatoren der Tagung, haben die Vorträge nun in ein lesenswertes Buch gepackt. „Jedes einzelne Leben ist die Welt“ wurde ergänzt um einen Essay über den Kunstkritiker Stadler sowie einen eigens zum Geburtstag Stadlers verfassten Text des Autors und Literaturwissenschaftlers Christof Hamann.

Siegmund Kopitzki/Waltraut Liebl 

Überlingen literarisch

Ein Spaziergang durch die Jahrhunderte

Gmeiner Verlag, Meßkirch 2020.  380 S., 28 €.

Überlingen am Bodensee ist nicht nur eine alte (und schöne) Stadt, sie hat auch eine lange Literaturtradition. Was bisher jedoch gefehlt hat, war eine Anthologie, die das literarische Leben dokumentiert, beginnend in der Zeit des Minnesangs bis in die heutigen Tage.  Das Konstanzer Autorenpaar Siegmund Kopitzki und Waltraut Liebl, das bereits 2014 mit dem Konzilsbuch „Die Gans ist noch nicht gebraten“ einen überraschenden Erfolg erzielte, hat nun diese Lücke mit „Überlingen Literarisch. Ein Spaziergang durch die Jahrhunderte“ gefüllt. Insgesamt 120 Autorinnen und Autoren werden vorgestellt, darunter sind große Namen wie Gottfried Keller, Annette von Droste-Hülshoff, Alfred Döblin, Ernst Jünger, Max Frisch und natürlich Martin Walser und Arnold Stadler, aber auch vergessene Schriftsteller wie Bruno Goetz und Tami Oelfken. Das Buch spiegelt nicht nur viele interessante Kapitel Literatur- sondern auch Zeitgeschichte wider. Ein kluges Nachwort und wunderbare „dunkle“ Zeichnungen der gebürtigen Überlinger Künstlerin Andrea Zaumseil vervollständigen dieses etwas andere „Heimatlob“.

Manfred Bosch

Wa witt no meh

Allemanische Gedichte

Herausgegeben von Siegmund Kopitzki. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2019. 120 S., 16 €.  

„Genau so reden sie, die Eltern, der Opa, die Erwachsenen“, notierte 1976 Bruno Epple über die alemannischen Gedichte von Manfred Bosch. Der Malerdichter schrieb das Nachwort für den  ersten Band „Uf den Dag wart i“, den Bosch im Eigenverlag erscheinen ließ und dem drei weitere Veröffentlichungen folgten: „Mir hond no gnueg am Aalte“ (1978), „Ihr sind mir e schäne Gsellschaft“ (1980) und „Wa sollet au d Leit denke“ (1983). Einem Seismografen gleich erfasst Bosch, in Bad-Dürrheim geboren, in Radolfzell groß geworden, „Volkes Stimme zwischen Bodensee und Hegau“, aber er redet dem Volk nicht nach dem Mund. Am Ende verpackte und verschickte er 13.000 Bände. Selbst der Bischof von Aachen und der spätere Ministerpräsident Erwin Teufel bestellten Exemplare. Damals war Mundart in der Dichtung „in“. Damit sie nicht ganz verloren geht, hat der Journalist Siegmund Kopitzki knapp einhundert Gedichte aus den vier Bänden ausgewählt, ein Nachwort verfasst und unter dem Titel „Wa witt no meh“ herausgegeben. Die Konstanzer Künstlerin Susanne Kiebler illustrierte das Buch. Sie hond no gnueg am Aalte? Der Band enthält auch neue Gedichte.

Sebastian Winterberg

Bodenseeland

Ein Log- und Lockbuch für Leute von nah und fern 

Verlag Jan Thorbecke 2019. 190 S., 19.- €

Sebastian Winterberg wurde 1979 an einem See im Norden Deutschlands geboren und bezeichnet sich, seit er 2004 an den Bodensee zog, als begeisterter Beobachter von vielem, was hier kleinere und größere Wellen schlägt. Eine fünf Seiten umfassende Bibliografie mit Literatur aus und zur Region belegt, welche Autoren und Lektüren ihm bei seiner Eingewöhnung und Annäherung geholfen haben. Winterberg läßt sich auf Zitate hiesiger AutorInnen ein, setzt sich mit ihnen anhand eigenen Erlebens auseinander und nutzt sie als Ausgangspunkt für eigene Gedanken und Empfindungen.

Edwin Ernst Weber

Literatur in Oberschwaben seit 1945

Gmeiner Verlag, Meßkirch 2017. 304 S., 22 €.  

Aus dem literarischen „Brachland“ des 19. Jahrhunderts hat sich in Oberschwaben nach 1945 eine lebendige „Literaturlandschaft der Kontraste“ entwickelt, wie es Peter Renz, selbst ein Kind der Region, formulierte. Gefördert von Martin Walser als selbstlosem „Seelsorger“ und „Patron“ melden sich mittlerweile in der zweiten Generation Autoren zu Wort, die überregionale Anerkennung gefunden haben und finden. Auch sind Institutionen der Literaturförderung entstanden wie etwa das Literarische Forum Oberschwaben, die Meersburger Autorenrunde oder die Stiftung Literaturarchiv Oberschwaben (jetzt Literaturstiftung Oberschwaben). Sie sind zu wichtigen Zentren des literarischen Austausches geworden. Hervorgegangenen aus einer Tagung in Inzighofen (Landkreis Sigmaringen) spüren in dem von Edwin Ernst Weber sorgfältig edierten Band „Literatur in Oberschwaben seit 1945“ neun ausgewiesene Kenner den Voraussetzungen und Protagonisten dieses Aufbruchs einer ländlichen Region nach und erkunden das Bild, das die Literaten von ihrer oberschwäbischen Heimat zeichnen. 

Eva Eberwein

Der Garten von Hermann Hesse

Von der Wiederentdeckung einer verlorenen Welt 

Stuttgart: DVA 2017, 160 S. mit zahlreichen farbigen und s/w-Abbildungen, 29,95 €. 

Hesses Garten in Gaienhofen ist der einzige, den er, lange bevor der Kult um das „Leben auf dem Lande“ entstand, um 1910 nach eigenen Vorstellungen angelegt und gestaltet hat. In den letzten Jahren wurde er von der Eigentümerin Eva Eberwein aufgrund alter Pläne und Dokumente restauriert und wiederhergestellt; heute ist er Anziehungspunkt für Hesse- wie  Gartenfreunde von weither. Das Buch nimmt uns mit in die Welt Hermann Hesses, schildert lebendig und einfühlsam seine Überlegungen und Beweggründe, den Garten genau so anzulegen, und welche Erlebnisse sich für ihn damit verbanden.

Tobias Engelsing

Das jüdische Konstanz

Blütezeit und Vernichtung

Südverlag 2015. 272 S. mit zahlreichen Abbildungen, 19.90 €.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts profitierte auch Konstanz vom Zuzug alemannischer Landjuden. Bald waren sie engagierte Bürger ihrer neuen Heimatstadt, deutsche Patrioten und weithin auch Träger des kulturellen Lebens. Ihrem Gewerbefleiß verdankt Konstanz zu guten Teilen den Aufstieg zur Einzelhandelsmetropole. Doch nach dem 30. Januar 1933 wurde auch am deutschen Bodenseeufer der Judenhass zur Staatsdoktrin. Der reich bebilderte Band erzählt die Geschichte des jüdischen Lebens von den Anfängen um 1840 bis heute, im breiten Spektrum zwischen Blütezeit und Vernichtung. Erstmals zugängliche Dokumente aus staatlichen Archiven wurden ebenso ausgewertet wie private Text- und Bildquellen. Eingearbeitet sind ein Dutzend prägnanter Kurzbiographien, die die Zeitgeschichte im Spiegel besonders berührender Biografien und Einzelschicksale abbilden.

Oswald Burger

Die Preisträger des Bodensee-Literaturpreises der Stadt Überlingen seit Beginn (1954) und ihre Laudatoren.

Eggingen: Isele 2010. 502 S.

Seit den Sammlungen „Wort am See“ und „Wort am See II“ aus den Jahren 1960 bzw. 1970 wurden die Lobreden auf die Träger des ältesten und traditionsreichsten Literaturpreises am Bodensee nur noch ausnahmsweise und verstreut gedruckt. Hier nun vereint ein umfangreicher Sammelband alle Laudationes auf die 36 Preisträgerinnen und Preisträger aus Deutschland, der Schweiz und aus Vorarlberg und ermöglicht so zugleich ein literarisches Profil der Bodenseeregion über ein halbes Jahrhundert hinweg.

Emanuel von Bodman

Buch der Kindheit

Herausgegeben von Walter Rügert, mit einen Vorwort von Zsuzsanna Gahse. Frauenfeld/Stuttgart/Wien: Huber 2009. 231 Seiten. 

Im Auftrag der Thurgauischen Bodman-Stiftung gibt Walter Rügert die Werke ihres Namensgebers (1874-1946) in Jahresabständen neu heraus. Stand schon bisher die Prosa im Vordergrund, so folgt nun als sechster Band Bodmans „Buch der Kindheit“. Den Plan zu einer autobiographischen Darstellung von Kindheit und Jugend hatte Bodman schon früh gefasst, doch schoben sein dramatischer Ehrgeiz und die Gedichtproduktion seinen Plan lange hinaus. So konnte die Figur des Knaben Siegmund erst in den vierziger Jahren zur Spiegelfläche der so subtil wie eindringlich geschilderten Erinnerungen an die Friedrichshafner Kindheit bzw. an die Emmishofer Knabenjahre werden. Erstmals erschienen ist Bodmans „Buch der Kindheit“ 1952 im Rahmen der zehnbändigen Werkausgabe, die Karl Preisendanz im Auftrag der Witwe Clara bei Reclam herausgab; Walter Rügert hat jedoch auf die (abweichende) handschriftliche Manuskriptfassung im Nachlass zurückgegriffen und dem Band ein informatives und illustriertes Nachwort beigegeben. 

Christof Hamann, Siegmund Kopitzki

Hermann Kinder

Eggingen, Edition Isele 2008. 252 S.

Den Schauplatzwechsel zwischen Bodensee und Köln kennt der Leser schon aus Hermann Kinders letztem Roman „Melaten“. Nun vollzieht ihn sein Autor nach. Rechtzeitig zu seiner Pensionierung und zu seinem Wegzug nach Köln legt die Edition in ihrer Reihe „Porträt“ einen Band zu Hermann Kinder vor, der 1972 sein Studium an der Universität Konstanz abschloss und hier seit 1974 als Akademischer Rat lehrte. Christof Hamann und Siegmund Kopitzki haben zu seinem Abschied einen opulenten Band zusammengestellt mit Beiträgen und Stimmen von Literaturwissenschaftlern, Freunden und Kollegen, unter vielen anderen Alexander Honold, Peter Braun, Martin Walser, Klaus Modick, Karlheinz Ott, Arnold Stadler, Aleida Assmann und Peter Renz. „Lieber Hermann“, schreibt sein Verleger Gerd Haffmans unter Anspielung auf einen Titel Kinders, „Du gehst nach K.? / Du mußt nur die Laufrichtung ändern / Dann kommst Du wieder nach K“. Vielleicht bleibt Hermann Kinder dem See ja doch noch ein bisschen erhalten…

Albert M. Debrunner

Literaturführer Thurgau

Frauenfeld/Stuttgart/Wien, Huber, 2008. 182 S.

Literarisch und kulturell gilt der Kanton Thurgau seit jeher als „Holzboden“. Dem scheint nun der Basler Lehrer und Literaturkenner Albert Debrunner, dessen Vorfahren einst aus dem Thurgau ausgewandert sind, widersprechen zu wollen, und er tut es mit einigem Erfolg für alle Epochen zwischen Minnesang und Gegenwart mit Engagement und viel Sachkenntnis. Es „leppert sich“ nämlich; besonders, wenn man die Aufenthalte, Zuzüge und Importe dazu nimmt. Auch wenn man am Schluss ein Register vermisst (dafür gibt es ein kleines „Lexikon“ der behandelten AutorInnen) – man wird die als Routen ausgearbeiteten Kapitel zwischen Ittingen und Arbon, Ermatingen und Hauptwil mit Gewinn durchstreifen – sei es lesend oder real.

Walter Rügert / Peter Salomon 

Konstanz - ein Gedicht

Eine Sammlung von Gedichten aus 12 Jahrhunderten. Konstanz, Stadler (2006)

Mit Illustrationen von Hermann Kinder. Die Sammlung umfaßt 50 exemplarische Gedichte von 46 Verfassern.

Jörg Magenau

Eine Biographie

 Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 624 Seiten. 

Freunde und Bekannte, denen ich von meiner Arbeit erzählte”, so Magenau über den Plan seiner ausführlichen Walser-Biographie, “betrachteten mich häufig mit einem strengen Stirnrunzeln (…). Zu Walser hatten alle eine Meinung, und jeder glaubte ihn zu kennen (…) Selten dauerte es lange, bis die Paulskirchenrede erwähnt wurde, von der im Publikum ein vages Schlußstrichgefühl zurückgeblieben ist”. Die ebenso denken, haben nun guten Grund, die erste ausführliche Biographie über einen der wichtigsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur zur Kenntnis zu nehmen: in ihr wird kompetent, gut lesbar und mit einer gelungenen Mischung aus Sympathie und Distanz der “ganze Walser” präsentiert, den eine teilweise skandalös tendenziöse Berichterstattung in den letzten Jahren zum Buhmann aufgebaut hat. Magenau zeigt uns einen Walser, der noch immer einer unserer wichtigsten und formulierungsmächtigsten Autoren ist, der selbst dort, wo man ihm nicht folgen möchte, erregender und faszinierender ist als seine Kritiker.

Ekkehard Faude

Fritz Mühlenweg – Vom Bodensee in die Mongolei.

Eine biographische Annäherung an den Drogisten, Asien-Reisenden, Maler und Autor.

Lengwil: Libelle Verlag 2005, 203 Seiten.

Als der Maler und Schriftsteller Fritz Mühlenweg (1898-1961) aus Anlaß seines 100.Geburtstages in Konstanz mit einer großen Kunstausstellung geehrt wurde, schlug Libelle-Verleger Ekkehard Faude im Nachwort zu dem in seinem Verlag erschienenen Katalog-Bildband (“Fritz Mühlenweg – Malerei”, 1999) erste Fäden zu einer ausgreifenden Biographie. In seine nun als Buch vorliegende Biographie hat Faude die Ergebnisse seiner langjährigen Beschäftigung mit dem vielseitigen Erzähler und Übersetzer eingebracht, dessen Werk in seinem Verlag inzwischen in sieben Ausgaben vorliegt. Behutsam und viele Quellen und Aspekte ausschöpfend, nähert sich Faude Mühlenwegs abenteuerlichem Leben, um dem einst als Jugendbuchautor Gehandelten eine generationenübergreifende Aktualität zurückzugeben, biographische Bezüge zwischen lokaler Herkunft und treibendem Fernweh herzustellen und ihn schließlich in eine Vorläuferlinie zu Autoren wie Saint-Exupéry, Theroux und Chatwin zu rücken.

Franz Michael Felder

Aus meinem Leben

Lengwil: Libelle Verlag 2004, 340 Seiten.

 „Die sanft atemberaubende Lebensgeschichte eines Bauernjungen, der sich an die Buchstaben verlor. Einer, der sich aus der Enge des Bregenzerwalds wegdachte, abends zusätzlich als Weber und Schindelmacher arbeitete, damit er sich Zeitungen und Bücher kaufen konnte. Lesen galt noch als verderblich, im Dorf wurde er lange als Sonderling beargwöhnt. Was er dann schrieb, erregte Bewunderung bis nach Leipzig. Die Machtzirkel seiner Vorarlberger Heimat bekämpften ihn als freidenkerischen Publizisten und Sozialreformer“ (Klappentext). – Die bewundernswerte Lebensdarstellung des Mannes, der am Beginn der modernen Literaturentwicklung Vorarlbergs steht.

Ulrike Längle/Helmut Swozilek

Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an

Paula Ludwig 1900-1974. Dichterin. Malerin. Katalog zur Ausstellung im Vorarlberger Landesmuseum. Bregenz 2004 312 S.

Aus Anlaß des 100. Geburtstages der aus Vorarlberg stammenden Exilantin Paula Ludwig (1900-1974) hatte das Vorarlberger Literaturarchiv, das ihren Nachlaß verwahrt, ein wissenschaftliches Symposion zu der Dichterin und Malerin veranstaltet, dessen Beiträge nun in dem Katalog zur Ausstellung nachzulesen sind, die ihr das Vorarlberger Landesmuseum anlässlich ihres 30. Todestages in diesem Jahr widmet. Die Beiträge beschäftigen sich mit Paula Ludwigs Verhältnis zu Yvan Goll, zum Element des Mystischen in ihrer Dichtung, mit dem Umfeld der Zeitschrift “Kolonne”, ihrer Autobiographie “Buch des Lebens”, einer psychoanalytischen Sicht ihrer “Traumlandschaft”, ihrem bildnerischen Werk sowie ihrem Nachlaß. Den Katalogteil bildet ein 100seitiger Abbildungs- und Dokumententeil und ein annotiertes Exponatverzeichnis mit Bibliographie. Damit ist nun erstmals Gelegenheit gegeben, Person und Werk außerhalb des skandal- und affärenträchtigen Umfelds von Claire und Yvan Goll wahrzunehmen und Paula Ludwig als wichtige Dichterin und erstaunliche Malerin zur Kenntnis zu nehmen.

Norbert Jacques

Mit Lust gelebt

Kommentierte, illustrierte und erweiterte Neuauflage.

Hg. von Hermann Gätje, Germaine Goetzinger, Gast Mannes und Günter Scholdt. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2004, 600 S.

“Wenn es für die Neuauflage eines Erinnerungsbuchs zur Literaturszene am Bodensee nach 1900 Zeit wurde, dann für dieses mit dem wunderbar treffenden Titel. Sein Autor, u .a Erfinder der berühmten Figur des Mabuse, ist in den letzten Jahren dank der Bemühungen des Mitherausgebers Günter Scholdt der Vergessenheit wieder ein Stück weit entrissen worden. Mit dieser Herausgabe jedoch hat er nicht nur den 50. Todestag des Luxemburger Autors zum Anlaß genommen, sein wohl bestes Buch wieder aufzulegen; zusammen mit seinen Mitstreitern hat er die Autobiographie des Bestsellerautors, Reisebesessenen und Genußmenschen auch durch Hunderte von Abbildungen in den Zusammenhang seiner Zeit gestellt, kenntnisreich erschlossen und um zentrale aussagekräftige Passagen eines zweiten, bisher unveröffentlichten autobiographischen Bandes erweitert. Herausgekommen ist dabei nicht weniger als ein kleines und so spannend wie amüsant zu lesendes Kapitel europäischer Kulturgeschichte.

Oliver Benjamin Hemmerle

"Der Arme Teufel"

Eine transatlantische Zeitschrift zwischen Arbeiterbewegung und bildungsbürgerlichem Kulturtransfer um 1900.

Münster/Hamburg/London: Lit Verlag 2002. 264 S.

Als Jahresgabe 2004 gibt Forum Allmende eine Textsammlung des in Vergessenheit geratenen Schriftstellers Robert Reitzel (1849-1898) heraus, der in den USA von 1884 an den “Armen Teufel” redigierte. Ergänzend hierzu weisen wir auf eine pressegeschichtliche Studie hin, die ein Porträt dieser Zeitschrift versucht. “Der arme Teufel” hat es wie kaum eine andere verstanden, die große Zahl deutscher Einwanderer mit Literatur vertraut zu machen und sie über ihre Entwicklung in Deutschland auf dem Laufenden zu halten. Zugleich war der vierzehntäglich erscheinende “Arme Teufel” ein Sammelpunkt der freiheitlich Denkenden, in dem Reitzel als Hauptautor für Emanzipation jeder Art und wider moralische Heuchelei stritt. Der Band erlaubt einen Blick auf das lebendige deutschsprachige Element in den USA, bevor es mit dem Ersten Weltkrieg seine ehemals große Bedeutung fast ganz verlor.

Albert M. Debrunner

Freunde, es war eine elende Zeit!

René Schickele in der Schweiz 1915-1919.

Frauenfeld/Stuttgart/Wien: Huber 2004. 320 S.

Der Begriff des Exils verbindet sich im allgemeinen mit der Zeit des Nationalsozialismus. Doch auch der Erste Weltkrieg kannte schon ein Exil, das sich in der Schweiz besonders mit den Orten Zürich, Bern und Thun verband. Ins Zentrum dieses Phänomens zielt der “bekannte Unbekannte” René Schickele, der damals mit den “Weißen Blättern” eine der wichtigsten expressionistischen Zeitschriften herausgab und nach 1919 in Badenweiler mit dem Gesicht nach Frankreich lebte. Debrunner versteht den Deutsch-Franzosen zurecht als Kronzeugen des Exils und zeichnet seinen Weg zwischen 1915 und 1919 – Zürich, Untersee, Bern und Uttwil – dank einer Auswertung aller Schriften, des Briefwechsels und sonstiger Materialien penibel nach. “Vieles von dem, was Schickele in dieser Zeit erlebte, weist bereits auf das voraus, was nach 1933 geschehen sollte” – als der Dichter bereits in seinem zweiten, französischen Exil lebte.

Irene Ferchl, Wilfried Setzler

Mit Mörike von Ort zu Ort

Lebensstationen des Dichters in Baden-Württemberg

Stuttgart: Silberburg-Verlag 2004. 320 S.

Lebensstationen eines Dichters in Baden-Württemberg zu präsentieren – bei wem wäre das “ergiebiger” als bei Eduard Mörike. Sein 200. Geburtstag bietet gute Gelegenheit, die Lebensorte des Dichters (und was sich daran knüpft) nachzuvollziehen – sei es als wirkliche oder Kopfreise (zu beidem eignet sich der vorliegende Band). Sowohl in der Schilderung der beiden Autoren als auch in Briefen, Zitaten und Gedichten Mörikes entsteht eine “geographische Biographie”, die große Teile des deutschen Südwestens berührt und in zahlreichen Abbildungen der Zeit einem Dichterleben zu exemplarischen Konturen verhilft.

Jochen Greven

Robert Walser - ein Außenseiter wird zum Klassiker

Abenteuer einer Wiederentdeckung.

Lengwil: Libelle 2003. Ca. 300 Seiten

Im »du«-Heft über Robert Walser (Oktober 2002) wurde bedauert, dass ein hochinteressanter Erinnerungstext von Jochen Greven nur als Typoskript unter Walser-Freunden kreise. Hier ist er, für die Buchform überarbeitet und erweitert. Erzählt wird in persönlichem Ton, in selbstkritischer Offenheit, immer wieder auch in nachgetragener Rage, eine schwierige, aber glücklich endende Erfolgsgeschichte: die spannende, nachhaltig erarbeitete und an menschlichen Begegnungen reiche Wiederentdeckung eines vergessenen Schweizer Autors. Und wie dieser Walser zum Klassiker der europäischen Moderne wurde.