Freundeskreis Jacob Picard

Der Freundeskreis Jacob Picard wurde 2002 gegründet; er ist ein eigenständiger Arbeitskreis innerhalb von FORUM ALLMENDE und wurde nach dem aus Wangen auf der Höri stammenden Dichter benannt, der die landjüdische Tradition weit über den Bodensee hinaus in seinem literarischen Werk überliefert hat. Unser Ziel ist es, Picards Leben und Werk einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen sowie die Erinnerung an die jüdische Geschichte Wangens und der Region lebendig zu halten. In Lesungen, Vorträgen, Ausstellungen und Publikationen präsentieren wir Themen und Aspekte jüdischen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart.

Jacob Picard am Bodensee
Alle Bilder: Courtesy by Leo Baeck
Institute , New York

Noch heute ist die südlich von Radolfzell im Untersee gelegene Halbinsel Höri ein Ort, an den es die Kunstschaffenden zieht. Auf den Spuren von Hermann Hesse und Otto Dix, um nur die beiden berühmtesten einer Vielzahl von Schriftstellern und Malern zu nennen, die aus den verschiedensten Gründen einige Jahre ihres Lebens auf der idyllischen Halbinsel verbracht haben, kamen und kommen noch heute viele Künstler und noch mehr bildungshungrige Feriengäste auf die Höri. Während dem Gedenken an Hesse und Dix eigene, gut besuchte Museen gewidmet sind, erinnerte bis vor kurzem nur eine schlichte Gedenktafel an den einzigen Dichter von Rang, der auf der Höri auch geboren wurde: den aus Wangen stammenden Jacob Picard, der seine Kindheit in dem kleinen Höri-Dorf verbrachte, um dann als Zehnjähriger, der besseren Bildungschancen wegen, nach Konstanz zu ziehen. Dabei ist Picard der Dichter des alemannischen Landjudentums, der mit ungemein zarter, plastischer Stimme an die Geschichte seiner Vorfahren und an das Miteinander in der christlich-jüdischen Landgemeinde Wangen im ausgehenden 19. Jahrhundert erinnert.

Dem Ziel, das Andenken dieses großen Dichters und die Kenntnis seines Werkes zu befördern, hat sich ein Kreis von Literaturfreunden von der Höri und aus dem Bodenseeraum verschrieben.

Wer war Jacob Picard?

Jacob Picard wurde 1883 in Wangen auf der Höri geboren. Zweierlei wurde für ihn prägend: die Landschaft des Untersees und die Lebenswelt der hier seit Genera­tionen ansässigen Landjuden. Zwar hatte das jüdische Leben in Wangen seinen Scheitelpunkt damals schon überschritten, doch war es noch lebendig genug, dass „unser ganzes Leben davon erfüllt war, daß es die Luft war um mich von Anbeginn…“.
1895 übersiedelte die Familie nach Konstanz, wo sich die literarischen Interessen des Knaben früh auszubilden begannen. 1903, nach dem Abitur, war er Zuhörer bei einem der Zionistischen Kongresse in Basel, die ihn stark beein­druckten. Im selben Jahr begann er ein Studium der Germanistik und Ge­schichte, das seiner Neigung am ehesten entsprach, wechselte jedoch 1905 zu Jura als Brotberuf, ohne seine literarischen Interessen aufzugeben.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg erschienen zahlreiche Veröffentlichungen in literarischen Zeitschriften wie „Rheinlande“, „Schaubühne“ und „März“. 1913, im Jahr seiner Promotion zum Dr. jur., kam auch sein erster Gedichtband „Das Ufer“ heraus.
Am Weltkrieg nahm Picard vier Jahre lang „heftig“ teil; dem Gedenken seiner beiden gefallenen Brüder Wilhelm und Erwin ist sein zweiter Gedichtband von 1920 („Erschütterung“) gewidmet.

Jakob Picard (Zeichnung, Waentig)

Picard als Soldat  

Nach dem Ersten Weltkrieg ließ sich Picard zunächst als Rechtsanwalt in Konstanz nieder, um nach seiner Heirat mit Frieda Gerson (1924) nach Köln zu ziehen, wo er Mitarbeiter großer Blätter wurde und als Syndikus des Rheinisch-Westfälischen Schriftstellerverbandes arbeitete. 1929 wurde seine glücklose Ehe geschieden. Als 1933 die politischen Ereignisse seine geplante Rückkehr nach Konstanz vereitelten, hatte Picard sich bereits seit geraumer Zeit der Schilderung der Lebenswelt der alemannischen Landjuden gewidmet. In einer von Hebel, Keller und Gotthelf beeinflussten Prosa gelangen ihm ein Dutzend längerer Novellen, die 1936 in der „Jüdischen Buchvereinigung“ erschienen und ihm die Anerkennung von Hermann Hesse, Stefan Zweig und Kurt Pinthus eintrugen.

„Es ist ein Kleinleben reich an gewinnenden und an heiteren Zügen“ schrieb Her­mann Hesse, „reich an Anekdoten, an Überlieferung, an Frömmigkeit, ja an stiller Größe… Picards Erzählungen seien empfohlen nicht nur als ein literarisch gutes Buch, sondern auch um ihrer menschlichen Wärme und Tiefe wegen“.

Nachdem Picard zwischen 1936 und 1938 noch einmal zwei Jahre in Horn auf der Höri verbracht hatte – „so, als ob einer unseres Geschlechts noch einmal die Verbun­denheit der Generationen vor dem großen Abschied hätte bestätigen müssen“ – begann er sich von Berlin aus, wo er noch die Bekanntschaft Gertrud Kolmars machte, gezielt auf das Exil vorzubereiten, das ihm 1940 mit einer der letzten Gelegenheiten gelang. Unterwegs, in Japan, erfuhr er von der Deportation seiner badischen und pfälzischen Landsleute nach Gurs.

Jacob Picard zu Besuch bei Erich Bloch
auf dem Michaelshof in Horn

In den USA blieb dem inzwischen 57jährigen ein beruflicher Wiederein­stieg versagt; er musste sich als Gärtner und Hilfsarbeiter durchbringen. Ein Familienstipendium ermöglichte es ihm, sich der Biographie des 48er Generals Franz Sigel zu widmen, der zugleich ein Held seiner Jugend war: der Großvater hatte unter ihm gekämpft. So gelang es Picard, der trotz dankbar akzeptierter amerikanischer Staatsbürgerschaft (1946) nie ein Verhältnis zu den USA fand und im Grunde ein Fremder blieb, „in Amerika in Deutschland“ zu sein.

1957 kam er erstmals wieder nach Deutschland und besuchte auch seine Heimat; doch an eine Rückkehr in die deutsche Literatur war lange nicht zu denken. Jüdisches schien besetzt durch Ghetto und Ostjudentum; ein freies, selbstbewusstes und doch gläubiges Judentum, so klagte Picard immer wieder, hatte es scheinbar nie gegeben. Erst der Achtzigjährige durfte eine Neuauflage seiner (überarbeiteten) Erzählungen in der Hand halten („Die alte Lehre“, DVA 1963); und als ihm die Stadt Überlingen 1964 den Bodensee-Literaturpreis zuer­kannte, durfte er dies über die literarische Würdigung hinaus als Geste zur Rückkehr verstehen. 1965 kehrte der inzwischen Pflegebedürftige nach Deutschland zurück und starb im Oktober 1967 in einem Konstanzer Altersheim.